Fairy Tale von Stephen King

Erschienen als gebundene Ausgabe mit Leseband
im Heyne Verlag
insgesamt 880 Seiten
Preis: 28,00 €
ISBN: 978-3-453-27399-3
Kategorie: Fantasy, Märchen

Ich warne sicherheitshalber vor Spoilern

Der 17-jährige Charlie Reade ist eigentlich ein ganz normaler Teenager, außer vielleicht, dass er mit seinem Vater alleine lebt seit er 7 Jahre*** alt ist. Seine Mutter wurde überfahren, als sie auf dem Heimweg von der Tankstelle war, wo sie für die Familie Hähnchenteile besorgt hat. Charlies Vater wollte sie fahren, sie aber lehnte ab und wollte gerne etwas frische Luft genießen. Tja, dieser Abend änderte alles. Charlies Vater begann zu trinken, verlor seinen Job bei der Versicherung und beinahe wären sie finanziell so richtig zugrunde gegangen. Aber dann kam ein ehemaliger Arbeitskollege und guter Freund und das Blatt wendete sich wieder. Charlies Vater wurde durch die Treffen der AA trocken und kam wieder auf die Füße. Charlie nahm ihm das nie übel, nein, er verstand seinen Vater nur zu gut und half ihm, so gut er konnte. Er kümmerte sich um den Haushalt und um seinen Dad, wenn er wieder betrunken war, und versorgte sich selbst. Daneben entwickelte er sich – wie gesagt – zu einem Teenager, der zwar eine Weile lang seinen Frust gemeinsam mit einem Kumpel, der kein guter Umgang für ihn war, rausgelassen hat, mit Aktionen, auf die er überhaupt nicht stolz ist rausgelassen hat aber dann auch wieder die „Kurve“ gekriegt hat.

Eher zufällig lernt Charlie den alten, verschrobenen Nachbarn Howard Bowditch kennen, weil der nämlich in seinem Garten hinter der Veranda liegt, wo er von der Leiter gefallen ist. Sein Hund Radar hat so jämmerlich gejault, dass Charlie sich hinter das Gartentor gewagt hat. Und das will was heißen. Denn der riesige Schäferhund, der dort wacht, soll absolut blutrünstig und ein totales Monster sein. So sagt es zumindest Charlies Freund. Nun, Radar ist inzwischen eine alte Hundedame und liegt neben ihrem Herrn, der sich nicht mehr rühren kann. Charlie ruft den Krankenwagen und so kommt eines zum andern: Es entwickelt sich langsam aber sicher eine wahre, tiefe Freundschaft zwischen Charlie und dem alten Eigenbrötler Bowditch. Charlie kümmert sich zunächst um Radar, als der Alte im Krankenhaus liegt und wohnt nach seiner Heimkehr bei ihm, um ihm als Pfleger und „Junge für alles“ zur Seite zu stehen.

Als Howard Bowditch stirbt, hinterlässt er Charlie nicht nur das alte Haus, das so verfallen nun gar nicht mehr ist, und die wundervolle alte Hundedame Radar. Nein, Bowditch hinterlässt Charlie viel viel mehr. Ein großes und wundervolles Geheimnis. Ein Tor in eine andere Welt. Doch dazu muss Charlie erst einmal den Schuppen öffnen …

***

Jetzt bin ich schon bei der Inhaltsangabe etwas ausgeufert, aber mit 2 Sätzen wollte ich die Handlung nun auch nicht zusammenfassen. Aus diesem Grund passen meine Rezensionen leider auch nicht auf die Verlagsseiten. „Zu viele Zeichen“ bekommen ich immer gemeldet ☺.

Gerade dieser erste Teil des Romans hat mir so sehr gefallen, dass ich mich zunächst in der „Anderswelt“ überhaupt nicht richtig wohlgefühlt habe. Ich wollte wieder hinauf in die Realität. Ich wollte zurück zu Charlie und seinem Vater, die beide so ein absolut tolles Verhältnis haben, dass ich dort bleiben wollte. Klar, Howard Bowditch war gestorben, was ich auch sehr bedauerlich fand, denn auch dieses Verhältnis fand ich richtig toll. Charlies Vater hatte nach dem Tod der Mutter getrunken, er wurde aber nie böse oder gewalttätig, wie wir es so oft in anderen Geschichten zu lesen bekommen. Nein, Charlies Vater war einfach „nur“ traurig, depressiv und trank. Er hat seinen Sohn nie auch nur angebrüllt und Charlie hat das alles so toll gemeistert, dass diese Vater-Sohn-Beziehung mir wirklich sehr nahe ging. Ebenso das Verhältnis zwischen Alt & Jung. Der freundliche Teenager hilft einem alten, verschrobenen, total grantigen Mann und es entwickelt sich eine tolle Beziehung zwischen den beiden.

Die Anderswelt ist unter unserer Welt gelegen und mit dem Betreten dieser Welt beginnt das Märchen, die Fantasy-Reise von Charlie Reade, der diese Welt offensichtlich retten oder befreien muss. Es gibt hier wundersame Menschen und Wesen. Eine graue Krankheit, die vielleicht an Michael Ende erinnert, auf den sogar kurz hingewiesen wird (leider nimmt Stephen King nur Bezug auf den Film „Die unendliche Geschichte“ und nicht auf das Buch). Ich habe es der Anderswelt schwer gemacht, eben weil ich aus den o.g. Gründen eigentlich lieber wieder in die echte Welt wollte, aber ich habe mich „gezwungen“, mich darauf einzulassen und so nach und nach wurde ich damit warm.

Ich habe selbst nie Lovecraft gelesen, weshalb ich einige Anspielungen und Hinweise vielleicht nicht erkannt habe, doch bei einigen Wesen wusste selbst ich, dass es sich um lovecraftsche Viecher handelt, stehen doch einige seiner Bücher in unserer Bibliothek (es ist hier auch interessant auszuknobeln, wem dieses Buch gewidmet ist und wer sich hinter den 3 Kürzeln verbirgt. Versucht es mal).

Wir begeben uns mit Charlie Reade auf eine Reise, das Land Empis zu retten und befreien, wobei Charlie eine große Rolle spielt. Auch Radar ist dabei, denn sie ist der eigentliche Grund, warum Charlie überhaut den Übergang durch den Schuppen gewählt hat. Wir treffen auf märchenhafte Figuren und lernen viel über das Land und dessen Bewohner. Auch hier geht es sehr stark um Freundschaft und Vertrauen und die Stärke, die eine Gruppe aufbauen kann.

Gibt’s ein Happy End? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Vielleicht irgendwie? Jedenfalls hatte ich zum Abschluss des Buches einen dicken Kloß im Hals und hätte dann doch gerne weitergelesen.

Fazit: Eine bunte Mischung aus Fantasy, Märchen, mystischem Horror und einem großen Abenteuer, das zu Herzen geht und fesselt.

*** Im inneren Klappentext ist dem Verlag in der Erstausgabe ein kleiner Fehler unterlaufen, worauf ich Heyne auch hingewiesen habe. Dort wird Charles Reade als 3-Jähriger beschrieben. Auf Seite 12 ist er dann korrekterweise 7 Jahre alt. Ich habe einen Blick in die englische Originalausgabe geworfen und dort ist Charlie auch tatsächlich 7 Jahre alt (auch im inneren Klappentext). Lasst euch also nicht verwirren, denn gegen Ende erzählt er selbst sogar nochmal, dass seine Mum starb, als er 8 Jahre alt war ☺


©2022 Buchwelten

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Billy Summers von Stephen King

Billy Summers von Stephen King
Erschienen gebundene Ausgabe mit Leseband
im HEYNE Verlag
Preis: 26,00 €
720 Seiten
ISBN: 9978-3-453-27359-7
Kategorie: Roman

Achtung – ggf. spoilere ich doch ein wenig …

Billy Summers, ehemaliger Scharfschütze der US-Marines, nimmt einen letzten Auftrag an, bevor er sich zur Ruhe setzen will. Sein „Boss“ Nick vermittelt ihm den Auftrag, der einige Vorbereitungszeit benötigt, da das Zielobjekt erst in noch nicht absehbarer Zeit aus dem Gefängnis überführt wird, und zwar zu dem Gericht, wo auch der Job ausgeführt werden soll.

Was Nick nicht weiß ist, dass Billy Summers den „Einfältigen“ nur mimt. Billy ist viel schlauer als angenommen, absolut gebildet und sehr belesen. Doch da dies gefährlich werden kann, lässt er das nicht durchblicken.

Für diesen letzten Job zieht Billy vorübergehend in ein Haus in einem beschaulichen Vorort ein, er erhält ein Büro, in dem er als angeblicher Schriftsteller David Lockridge an seinem nächsten Roman arbeitet. Worüber er natürlich mit niemandem sprechen darf.

Tatsächlich aber ist das Büro der Platz, von dem aus der Job erledigt wird. Dort wird er sein Gewehr platzieren, wenn die Zielperson vor Gericht vorgeführt wird und den Polizeiwagen verlässt.

Nun, Billy, alias David Lockridge, nutzt die Zeit im Büro und beginnt tatsächlich zu schreiben. Er schreibt sein Leben auf, im Stil des Einfältigen, um die Tarnung aufrechtzuerhalten, denn Nick hat den Laptop garantiert angezapft. Und wie es so oft der Fall ist, verselbstständigen sich die Dinge. Billy, alias David, schließt eine private Freundschaft mit seinen Nachbarn und auch mit den Kollegen im Bürogebäude. Und als der Tag näher rückt, an dem der Job erledigt werden soll, naht der Abschied.

Was Nick nicht weiß ist, dass Billy, der Einfältige, sich eine weitere Existenz, von der niemand weiß, aufgebaut hat. Nämlich die Existenz der Person, die er sein wird, wenn der letzte Auftrag erledigt ist. Denn auch wenn er Nick seit vielen Jahren kennt und für ihn Jobs übernommen hat, so traut er ihm keineswegs.

Nach dem Auftrag taucht Billy unter, da er sich zum eigenen Schutz nicht an den vorgeschrieben Fluchtplan gehalten hat. Er hat unter seinem Decknamen eine Souterrain-Wohnung angemietet, wo er ausharrt. Dort bekommt er eines Abends mit, wie eine Gruppe Männer einen leblosen Frauenkörper am Rinnstein ablegen und davonfahren. Billy kann die Frau nicht dort liegen lassen und holt sie in die Wohnung. Er rettet ihr das Leben und päppelt sie sowohl körperlich, also auch seelisch wieder auf. Hierzu nutzt er kleine, aber überaus hilfreiche Tricks aus seiner Zeit bei der Army, beispielsweise um Panikattacken zu bekämpfen.

Die beiden freunden sich an, Billy Summers, der Sniper in seinen 40ern und die junge Frau Alice, das Vergewaltigungsopfer ….

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Ja, eigentlich habe ich schon viel zu viel von der Handlung verraten, andererseits aber auch nicht, weil die Geschichte so vielseitig und intensiv ist.

Man liest vielleicht heraus, dass ich absolut begeistert bin, von dieser eigentlich doch sehr ruhigen Geschichte. Dennoch hat sie viele Spannungsmomente und sie hat mich absolut in ihren Bann gezogen. Ich hätte gerne noch einige hundert Seiten mehr mit Billy, Alice und Bucky verbracht.

Stephen King hat hier wieder einmal so wunderbare und vielschichtige Charaktere geschaffen und ihnen eine Geschichte gegeben, die einfach nur gut ist. Sein Protagonist hat genaugenommen sogar mehrere Charaktere, da er sich ja selbst oft anders gibt, und das sehr überzeugend.

Die Hintergründe der Geschichte sind sehr intensiv und gehen teils wirklich nah. Diese Geschichte ist absolut menschlich, egal ob im negativen oder positiven Sinne. Der Roman liest sich wie ein Film und wenn man nicht ganz gut aufpasst, dann führt der Autor einen auch ganz schnell mal hinters Licht.

Der Roman entstand inmitten der Covid-19-Pandemie und der Zeit der harten Lockdowns, und das hat Stephen King geschickt immer mal wieder in die Handlung einfließen lassen. Warum sollte diese doch krasse Zeit, mit extremen Einschnitten in unsere Leben in Romanen auch nicht existieren?

Ich mag den neuen King sehr gerne und auch hier hat er wieder einmal bewiesen, dass er es einfach kann. Ich hoffe, dass er des Schreibens noch lange nicht müde wird und uns noch viele wunderbare Geschichten erzählt.

Marion Brunner_ Buchwelten 2021

Von Frauen, Fremden und Phantomen von Georg Adamah

Erschienen als Taschenbuch
Independently published
insgesamt 238 Seiten
Preis: 11,99 €
ISBN: 978-1700693594
Kategorie: Drama, Liebe, zeitgenössische Belletristik

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Kurzgeschichten, die lose miteinander verbunden sind und zeigen, wie Liebe, Sehnsucht, Rache, Begierde, Freundschaft und Verrat im Leben „funktionieren“.

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Ein neues Buch von Georg Adamah? Klar war ich neugierig, was sich der Autor von „Die Sonne über dem südlichen Wendekreis“ (in einer früheren Version auch unter dem Titel „Liliths Töchter, Adams Söhne“ erschienen) ausgedacht hat. „Von Frauen, Fremden und Phantomen“ wird als Fragment eines Romans bezeichnet. Besser könnte man die Geschichte(n) gar nicht bezeichnen, denn man bekommt durchaus einen Roman geboten, der sich allerdings erst durch verschiedene Kurzgeschichten zu einem Ganzen verwandelt. Wie schon beim obengenannten „Die Sonne über dem südlichen Wendekreis“ macht das vorliegenden Buch ungemein Spaß, zumal es auch noch jede Menge (Lebens-)Wahrheiten verbirgt, die einen daran erinnern, wie man sich selbst oft verhält. Man erkennt sich also immer wieder.
Adamah hält sich, wie bereits in seinem ersten Roman, nicht wirklich an die gängigen Konventionen in der Literaturwelt. Und das ist auch gut so, denn sowohl vom Aufbau als auch von der sprachlichen Innovation kenne ich wenige Romane, die derartig verfasst sind. Die wörtliche Rede ist nicht entsprechend gekennzeichnet, so dass man schon aufmerksam lesen muss, um das Geschriebene in all seinen Facetten zu verstehen. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, fällt es natürlich leichter.

Der Aufbau der Geschichte(n) hat mich erneut fasziniert. Es liest sich kompliziert und dennoch so unglaublich flüssig. Es ist eine Kunst, so zu schreiben, ohne dass der Leser den Faden verliert und alles in jedem Detail versteht. Georg Adamah kann sehr gut schreiben und man vergisst seinen ganz besonderen, eigenen Stil nie wieder. Ich habe mich in den Storys teilweise richtiggehend verloren, weil sie von Melancholie bis über Hass und Verrat alles beinhalten und in einem das Gefühl wecken, man liest eine emotionale Biografie. Vor allem die Gefühle sind bei Adamah groß geschrieben und werden sehr authentisch und nachvollziehbar beschrieben. Dass sich der Autor sozusagen als Hauptperson einbringt, mag für den ein oder anderen etwas seltsam wirken, wenn man aber den Sarkasmus darin erkennt, macht es zum einen Sinn und zum anderen eben enormen Spaß. Oft habe ich mich dabei ertappt, dass ich während des Lesens schmunzeln musste. Auch dieses Herangehensweise vermittelt den Eindruck, man hätte es mit einer Art Lebensgeschichte des Autors zu tun. „Von Frauen, Fremden und Phantomen“ ist für mich ein ganz besonderes Buch, weil es mich auf eine sehr eindrucksvolle Reise mitnimmt, die direkt aus dem Leben gegriffen scheint. Niemals langweilig, immer intensiv und ehrlich. Ein Buch, das man bestimmt immer wieder gerne in die Hand nimmt und darin schmökert.

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Fazit: Unterhaltung auf hohem Niveau. Witzig, melancholisch, ehrlich. So muss ein Buch sein.

©2021 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Später von Stephen King

Erschienen als gebundene Ausgabe mit Leseband
im Heyne-Verlag
insgesamt 304 Seiten
Preis: 22,00 €
ISBN:  978-3-453-27335-1
Kategorie: Horrorroman

Jamie Conklin ist der Sohn der Literaturagentin/Lektorin Tia Conklin. Gemeinsam mit seiner Mum lebt er in Manhattan in einer sehr guten Wohngegend. Das Geschäft von Jamies Mum läuft sehr gut, auch nachdem sie die Agentur inzwischen lange allein führt. Ihr Bruder, der damalige Geschäftsgründer ist früh an Alzheimer erkrankt.

Jamie und seine Mum kann man wohl als perfektes Zweiergespann bezeichnen. Sie haben eine tolle Mutter-Sohn-Beziehung und sind gern zusammen. Jamies Mum Tia ist auch die einzige Person, die um Jamies Geheimnis weiß: Jamie sieht Tote. Er sieht kürzlich verstorbene Menschen und kann mit ihnen sprechen. Aber nur wenn er sie anspricht bzw. Fragen stellt. Dann antworten sie. Und zwar wahrheitsgemäß. Tote können nicht lügen. Nach einigen Tagen verschwinden sie dann langsam. Ihre Stimme wird leiser, wie durch Watte und dann sind sie weg. Wohin auch immer.

Als plötzlich der beste Autor der Agentur stirbt droht dieser der totale finanzielle Ruin. Der letzte abschließende Band sollte die Kasse auffüllen, doch mehr als die ersten 30 Seiten hat er nicht geschafft. Doch da ist ja bekanntlich Jamies Gabe. Tia fährt gemeinsam mit Jamie zum Wohnsitz des Autors, in der Hoffnung, dass Jamie seinen Geist dort trifft (man weiß nie so genau, wo sie sich aufhalten, bis sie entschwinden). Und ja, er ist tatsächlich an seinem Arbeitsplatz und Jamie fragt ihn nach der Handlung des Romans. Doch natürlich hat die Sache mit den Toten auch einen Haken. Sonst wäre es ja kein Horrorroman … 😉

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Als ich den Klappentext las, dachte ich zuerst, dass Stephen King auf seine alten Tage noch seinen Kollegen Dean Koontz kopiert und einen Charakter wie Odd Thomas aufs Papier bringt. Der sympathische Grillkoch hat es schließlich über viele Jahre mit Toten zu tun gehabt. Doch nein, Jamies Gabe ist dann doch etwas anders als die von Odd.

Jamie erzählt die Geschichte selbst und ist noch ein Grundschuljunge, als er damit beginnt. Dementsprechend „einfach“ ist der Schreibstil. Allerdings nicht einfach einfach, sondern absolut liebenswert und kindgerecht. Einfach wie durch die Augen eines Kindes gesehen. In der Zeit stirbt die Ehefrau des Nachbarn Prof. Burkett. Jamie spricht mit ihr, weil Mr. Burkett nach dem Tod völlig verzweifelt die Ringe seiner Frau sucht. Die verstorbene Mrs. Burkett sagt es Jamie schließlich. Sie liegen an einem total verrückten Ort und die Begründung, die die tote Mrs. Burkett darin findet, geht dem Leser nicht mehr so schnell aus dem Kopf (Mrs. Burkett erlitt einen Schlaganfall). Sie sagt: Wahrscheinlich sind meine Gedanken da schon in meinem Blut ertrunken.

Die Beziehung, die sich zwischen Jamie und dem Professor entwickelt, erinnert mich ein wenig an die Kurzgeschichte aus „Blutige Nachrichten“ mit dem Titel Mr. Harrigans Telefon. Mr. Burkett in diesem Buch hier ist allerdings charakterlich ganz anders, viel liebenswürdiger und nicht so schroff, doch meine ich einfach das Miteinander zwischen Jung und Alt. Der Respekt von beiden Seiten zueinander und die Freude am Zusammensein. Wahrscheinlich ein Thema, das Stephen King nun im Alter auch beschäftigt. Ich finde diese Freundschaft sehr schön.

Es geht noch um soviel mehr in diesem doch relativ dünnen Roman: Homosexualität, Drogen, Sucht, Liebe, Neid, Bombenanschläge, einige wirklich ekelige Leichen und ebenso um das absolute, richtige Böse. Viel mehr mag ich eigentlich nicht verraten, denn das würde natürlich die Spannung stehlen.

Fakt ist, dass mir der Roman sehr gut gefallen hat und ich mir gewünscht hätte, Jamie und Tia noch ein wenig länger zu begleiten. Es ist eine sehr gute, abwechslungsreiche Geschichte mit ganz viel drin. Beginnend vorher und endend … Später ☺.

© Marion Brunner_Buchwelten

Das Buch, das dich findet von Siegfried Langer

Eine WhatsApp-Nachricht ist das letzte, was Merelie von Alina gesehen hat. Danach ist Alina verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Auf Nachrichten reagiert sie nicht mehr, auch von zu Hause ist sie weg, ohne Kleidung, Waschzeug, Geld oder sogar ihr Handy. Alles ist da, nur eben Alina nicht.

In ihrer letzten Nachricht schrieb sie Merelie von einem seltsamen Roman, auf den sie gestoßen war: „Das Buch, das dich findet“. Merelie wundert das sehr, denn gelesen hat Alina nie. Sie war traurig und depressiv, nachdem ihr Bruder David gestorben war, hatte sogar Todessehnsüchte. Doch Merelie war Alina eine gute Freundin und Stütze in dieser Zeit. Merelie beginnt nach dem ominösen Buch zu suchen, recherchiert, fragt in Buchläden. Gemeinsam mit ihrem Freund aus jüngster Kindheit, Elias, versuchen sie alles, um hinter das Geheimnis von Alinas plötzlichem und seltsamen Verschwinden zu kommen. Sie finden eine ebook-Ausgabe auf Alinas Handy und beginnen den seltsamen Roman zu lesen.

Doch plötzlich findet Merelie von demselben Buch eine Print-Ausgabe auf Ihrem Bett. Was soll das? Wie kommt es dahin? Wer konnte einfach so in Merelies Zimmer das Buch platzieren? Sie kann nicht widerstehen und beginnt zu lesen. Seltsam, die Handlung weicht von der aus Alinas Ausgabe ab. Und dann geschieht etwas wirklich Unglaubliches …

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Das Buch hat der Autor Siegfried Langer über BoD publiziert und es präsentiert sich als qualitativ hochwertiges Hardcover. Die Gestaltung in schönem Violett mit dem Bild, dass das Buch immer wieder in einer Hand zeigt gefällt mir gut. Die Schrift des Klappentextes gefällt mir persönlich nicht, aber der Inhalt dessen macht neugierig.

Die Hauptfigur des Romans, die 17-jährige Merelie, die optisch der Gothic-Szene zugehörig ist, ist mir sehr sympathisch. Sie ist eine ehrliche, sehr natürliche Person, die Alina, vormals echte Tussi, nach dem Tod ihres Bruders einfühlsam zur Seite steht. Dann ist da noch Elias, die dritte Hauptrolle des Roman. Seit seiner Kindheit ist er mit Merelie befreundet. Über die Jahre hatten sie sich ein wenig aus den Augen verloren, aber nun, durch das Verschwinden von Alina und die darauffolgende Suche kommen sie sich wieder näher und sind ein tolles Team.

Man kann das Buch ohne weiteres als All-Age-Lektüre bezeichnen, denn auch wenn es eigentlich wie ein klassisches Jugendbuch wirkt, behandelt es Themen, die altersübergreifend sind. Verluste, Sehnsüchte, geheime Wünsche, Trauer und Ängste sind die Themen, die Siegfried Langer in der Handlung aufgreift und über die er in einem wunderbar ausgeklügelten Handlungsrahmen erzählt. Die Grundidee des Romans, auf den ich eigentlich gar nicht näher eingehen will, ist wirklich klasse. Ein Buch, dass es eigentlich nicht gibt und solche Dinge „geschehen lässt“, ja, da hatte der Langner einen guten Einfall. Müsste ich es irgendwie vergleichen, fiele mir vielleicht „Sophies Welt“ von Jostein Gaarder ein, wobei der Vergleich dennoch ein wenig hinkt. Aber die Richtung passt jedenfalls.

Der Schreibstil ist, wie von Siegfried Langer gewöhnt, sehr gut, sprachlich gehoben und wunderbar ausformuliert, niemals flapsig oder lasch. Natürlich gibt es Umgangssprachliches in den Dialogen der jugendlichen Protagonisten aber das kann und soll ja auch so sein.

Ein Gespräch am Schluss hätte ich mir länger gewünscht. Dieses Thema, auf das ich auch nicht näher eingehen möchte, wurde mir für mein Empfinden etwas zu schnell abgehandelt.

Aber dennoch, ich gebe hier gerne eine Leseempfehlung für dieses wunderbare All-Age-Werk.

© Marion Brunner_Buchwelten 2020

Erhebung von Stephen King

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Erschienen als gebundene Ausgabe
im Heyne Verlag
insgesamt 144 Seiten
Preis: 12,00 €
ISBN: 978-3-453-27202-6
Kategorie: Kurzroman
Erschienen am: 12.11.2018

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Scott lebt in Castle Rock und arbeitet als Webdesigner. Er ist ein normaler Typ im mittleren Alter, der plötzlich ein Problem der etwas ungewöhnlichen Art bekommt: Er verliert an Gewicht. Stetig und in relativ rasantem Tempo. Allerdings ist ihm das äußerlich nicht anzusehen. Er trägt nach wie vor seine stattliche Wampe vor sich her, die vorne über dem Gürtel hängt.

Und das zweite überaus Seltsame ist: Egal mit wie viel Zusatzgewicht sich Scott auf die Waage stellt, das Gewicht bleibt das gleiche. Sein reines Körpergewicht. Ob er sich die Taschen voller Geldmünzen steckt oder zusätzlich eine Langhantel tragen würde. Alles, was er zusätzlich bei sich trägt, ist gewichtslos. 

Scott ist erschreckt und verwirrt, denn er fühlt sich körperlich sehr wohl. Da er mit seinem Problem nicht zu seinem Hausarzt gehen möchte, geht er zu seinem Freund und Tennispartner Bob Ellis (Doctor Bob). Er ist seit 5 Jahren im Ruhestand, aber Scott vertraut ihm.  Natürlich ist dieser überrascht und skeptisch, als er diese komische Geschichte hört. Doch als sich Scott auf seine gute alte Praxiswaage stellt, ist er sprachlos. Gemeinsam versuchen sie der Sache auf den Grund zu gehen. Doch allzu viel Zeit bleibt nicht wirklich. Denn wenn man ausrechnet, wie lange es dauert, bis Scott nichts mehr wiegt, dann komm der Tag X schneller als einem lieb ist …

Bei einem relativ kurzen Buch möchte ich mit meiner Inhaltsangabe nicht zu ausführlich sein, damit ich nicht gleich die ganze Handlung verraten will. Stephen King hat mit diesem Roman eine kleine ,aber sehr feine Geschichte geliefert. Sie beschäftigt sich mit Vorurteilen gegen Menschen, die anders sind, dazu stehen und anerkannt werden wollen.

Darum, dass sich hinter harten Schalen ganz oft weiche Kerne verbergen. Darum, dass man Mauern um sich errichtet, um nicht verletzt zu werden und sich einfach durchkämpfen will. Darum, dass es aber Menschen gibt, denen es egal ist, wie anders Menschen auch sein mögen und sie unterstützen möchten, sich mit ihnen anfreunden wollen. Darum, dass man es ehrlich meint und dennoch nicht leicht hat, aus den o.g. Gründen überhaupt an diese Menschen heranzukommen.

Es geht darum, über sich hinauszuwachsen, Grenzen zu überschreiten und über tiefe und ehrliche Freundschaft.

Wie man sieht, steckt zwischen diesen beiden Buchdeckeln wirklich sehr viel. Geschrieben im lockeren, leichten und angenehmen Stephen King-Schreibstil. Sehr bildhaft und humorvoll. Das Buch macht nachdenklich und traurig.

Eines kann ich verraten: Der Roman hat nichts mit „Thinner“ zu tun. Das war nämlich mein erster Gedanke: Stephen King hatte das Thema „dünner werden“ doch schon einmal. Aber „Thinner“ ist ein alter King. „Erhebung“ ist ein neuer King. Ich liebe sie beide und Fans werden wissen, was ich damit meine.

Dies ist ein wirklich schöner Roman, eine tolle Geschichte, die irgendwie zu kurz ist, aber anderseits nicht länger sein muss. Ich gebe hier gerne eine Leseempfehlung. Vielleicht ist der Roman auch eine Geschenkidee für Freunde und Bekannte, die bisher noch keinen Roman von Stephen King gelesen haben. So als Einstieg, zum anfixen, quasi ☺.
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© Marion Brunner_Buchwelten 2018

 

Jenseits von Wut von Lucie Flebbe

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Erschienen als Taschenbuch
im Grafit Verlag
insgesamt 309 Seiten
Preis: 12,00 €
ISBN:  978-3-89425-587-9
Kategorie: Kriminalroman

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Gerade noch sollte Edith „Eddie“, hübsch aufgestylt mit Ihrem künstlichen Zopf, in der Edel-Muckie-Bude Ihres Gatten Häppchen reichen, als sie auf einmal auf der Straße steht. Ihre Tochter Lotti und sie sind mehr als Hals über Kopf aus dem ehelichen Haus geflüchtet. Auslöser ist ein böser Streit mit Ihrem Mann, denn der ist nicht nur verletzend, sondern wirklich beleidigend. Im Nachhinein überlegt, war so eine Flucht längst nötig, so ein Ekelpaket wie Philipp geworden ist.

Doch was nun? Eddie braucht eine Wohnung, muss wieder arbeiten. Eigentlich ist sie nicht so wild darauf, wieder bei der Polizei zu arbeiten, doch was bleibt ihr für eine Wahl? Sie kann Teilzeit wieder einsteigen, sofort sogar, denn es ist Not am Mann. Dass Eddie nicht nur für einige Stunden Schreibarbeiten übernimmt, sondern sofort in eine Mordermittlung einsteigt, ist nicht der Plan. Doch genau so kommt es: Vor dem Jobcenter wird die Leiche einer jungen Frau gefunden, die brutal erschlagen wurde. Und die Mordkommission braucht jede Unterstützung. Und somit ist Eddie von einen Moment auf den anderen wieder mitten drin…

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Bislang habe noch keinen Roman von Lucie Flebbe gelesen. Doch da es sich um den ersten Teil einer neuen Reihe handelt, war der Einstieg natürlich kein Problem. Mir gefällt der Schreibstil der Autorin ganz gut. Mit Witz und Humor aber auch Biss und Brisanz geht Flebbe an die Handlung des Romans heran.

Wir lernen die unterschiedlichsten Personen kennen und gerade die Nebencharaktere, wie z.B. „Mütze“, die völlig überlastete Mutter und Betreuerin, die Eddies neue Nachbarin wird, gefällt mir sehr gut. So gar nicht bieder und Mainstream, sondern schräg und etwas abgedreht. Aber eben herzensgut und einfach ein toller Mensch. Solche Figuren mag ich.

Der Handlungsstrang ist durch einen ständigen Blickwechsel zwischen Eddie und Zombie sehr abwechslungsreich und auch spannend aufgebaut. Der Roman ist sehr kurzweilig und man fliegt recht schnell durch die Seiten.

Mich hat der Nebenstrang um die Entwicklung der Protagonistin Eddie irgendwie mehr gereizt, als die Arbeit in der Mordkommission, was aber vielleicht auch daran lag, dass mir der Kollege und Vorgesetzte eher nicht so sympathisch war/ist. Was wiederum wohl von der Autorin so gewollt ist.

Im Zuge der Ermittlungen werden verschiedene Spuren verfolgt und Fäden ausgeworfen, die Entwicklung ist sehr schon unvorhersehbar, sodass die Lektüre nicht langweilig oder gar zäh wird.

Lucie Flebbe geht hier Vorurteile geschickt an und hält sie dem Leser ganz gut vor Augen. Denn es steckt oft viel mehr in oder „hinter“ Menschen als man auf den ersten Blick zu glauben vermag. Dass finde ich sehr gelungen.

Darum gebe ich hier gerne eine klare Leseempfehlung für den Roman/Krimi einer Autorin, die ich bislang noch so gar nicht ins Auge gefasst hatte. Aber man lernt ja bekanntlich nie aus und sollte immer offen für neues bleiben.

© Buchwelten 2018

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Der Talisman von Stephen King und Peter Straub

Der Talisman

Erschienen als Taschenbuch
im Heyne Verlag
insgesamt  960 Seiten
Preis: 11,99 €
ISBN: 978-3-453-87760-3
Kategorie: Horror/Fantasy

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Jack Sawyer ist 12 Jahre alt und lebt allein mit seiner sterbenskranken Mutter Lily mehr oder weniger auf der Flucht. Jacks Vater ist von einigen Jahren verstorben und Jacks Mom, schwer an Krebs erkrankt, reist mit Jack von Ort zu Ort, um „Onkel Morgan“ zu entkommen. Morgen Sloat ist der ehemalige Partner von Jacks Vater und Freund der Familie. Er will Jacks Mom ständig dazu nötigen, irgendwelche Geschäftspapiere zu unterzeichnen, die ihm von Nutzen sind.

Nun sind sie angekommen im fast leeren Hotel Alhambra Inn and Gardens (die Saison ist vorbei, das Hotel gleicht einer Gruft) in New Hampshire. In diesem Hotel hat Lily, einst gefeierter Filmstar der B-Movies, wundervolle Zeiten verbracht. Und offensichtlich möchte sie hier nun sterben.

Jack lernt im nahegelegenen Freizeitpark am Arcadia Beach den alten Mann Speedy Parker kennen. Er ist ein schwarzer, ehemaliger Musiker, der Jack ein wahrer Freund wird. Und Speedy ist es, der Jack auf eine weite, abenteuerliche und gefährliche Reise schickt.

Er schickt ihn nach Westen, um den Talisman zu holen. Denn der würde seine Mom Lily vor dem Tod retten. Doch dazu muss sich Jack auch in die Welt begeben, von der er immer glaubte, es handele sich um Tagträume, die ihn seit seiner frühen Kindheit begleiten. Doch von Speedy erfährt er, dass es sich nicht um Tagträume handelt. Es gibt sie wirklich: die Welt der Territorien …

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Spoilergefahr ist eventuell vorhanden!


Stephen King und Peter Straub haben hier gemeinsam ein sehr umfangreiches Fantasy/Horror Abenteuer geliefert, das die Geschichte des Jungen Jack in bunten Farben und sogar Gerüchen schildert. Es ist dramatisch, gefährlich, sehr brutal und grob, teilweise aber auch sehr leise, absolut emotional und mitfühlend. Es werden sehr viele Themen in dieser Geschichte berührt: Liebe, Familie, Mut, Vertrauen, Freundschaft, Machthunger und Neid, Gier und Angst vor dem Versagen, nicht aufgeben und bedingungsloser Zusammenhalt unter Freunden. Ich könnte noch unzählige weitere Worte finden.

Anfangs zog sich alles etwas in die Länge und ich hatte leichte Anlaufschwierigkeiten, auch wenn die Geschichte mich von Anfang an gefesselt hat (das geht mir übrigens bei Teil 2 gerade genau so: die ersten 100 Seiten sind noch anstrengender). Doch ab dem Moment, in dem Wolf in die Handlung tritt, war ich völlig in den Bann gezogen.

Die Welten der Handlung wechseln und die Ideen sind einfach toll. Ich fühlte mich von der Stimmung und Umgebung oft an den Dunklen Turm erinnert, manches verursachte bei mir sogar ein gewisses „Potter-Feeling“.

Unterm Strich ein absolut gelungener Fantasy Roman, der durch seine krassen und teilweise sehr brutalen und heftigen Szenen durchaus Horror-Charakter hat. Teilweise meine ich zu erkennen, welche Passagen von King und welche von Straub geschrieben wurden, jedoch nicht immer.

Mein Fazit: ein ausführliches und umfangreiches Fantasy/Horror-Abenteuer mit Road-Movie-Charakter, das sicher nichts für schwache Nerven ist, aber immer wieder auch mit sehr ruhigen und intensiven Momenten belohnt.

© Buchwelten 2018

 

 

Die italienischen Schuhe von Henning Mankell

Die italienischen SchuheErschienen als gebundene Ausgabe
im Zsolnay Verlag
insgesamt 368 Seiten
Preis: 24,00 €
ISBN: 978-3-552-05794-4
Kategorie: Drama, Liebe, Belletristik

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Der ehemalige Chirurg Fredrik Welin lebt einsam und fast allein auf einer kleinen Insel in den Schären. Die Insel gehörte einst seinen Großeltern und dort fristet er genügsam und eigenbrötlerisch seinem Dasein. Er bewohnt ein gemütliches, geräumiges aber einfaches Haus, er besitzt ein Boot, das er eigentlich seit Jahren in Schuss bringen möchte, wozu er sich aber nie aufraffen kann.

Einzig ein alter Hund, eine ebenso alte Katze und ein Ameisenhaufen im Wohnzimmer sind seine Mitbewohner, wobei er die Ameisen eigentlich eher sich selbst überlässt, da er den Raum sowieso nicht nutzt.

66 Jahre ist Welin alt und vor vielen Jahren ist ihm „die große Katastrophe“ passiert und seitdem lebt er so zurückgezogen. Einer der wenigen menschlichen Kontakte, die er hat, sind die Besuche des Postboten Jansson. Der kommt ab und an vorbei, teilt ihm mit, dass er keine Post hat und schildert Welin regelmäßig ein anderes Wehwehchen, dass er dann untersuchen soll.

So gehen die Tage dahin und Welin ist weder glücklich oder unzufrieden. Es ist wie es ist. Doch eines Tages im Winter, da ändert sich alles. Denn da schaut Welin raus aufs Eis und sieht dort jemanden stehen. Mit einem Rollator. Die alte Dame ist Harriet, die Frau, die er vor langer Zeit einmal sehr liebte und die er verließ.

Nun steht sie nach 40 Jahren da und will von Fredrik, dass er ein altes Versprechen einlöst, da sie sterbenskrank ist. Natürlich erinnert er sich an dieses Versprechen und selbstverständlich hält er sich daran.

Also machen die beiden sich auf den Weg, auf eine winterliche Reise, sein Wort einzulösen und auf einen Streifzug in die Vergangenheit …

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Henning Mankell hat hier einen sehr ruhigen, stimmungsvollen und gefühlvollen Roman geschrieben. Er erzählt von den Fehlern und Macken der Menschen, vom Älterwerden und Einsam sein, vom wieder zum Leben erwachen und vom Sterben.

Auf dieser Reise erfährt der Leser natürlich, was die „große Katastrophe“ im Leben des Chirurgen war, wir treffen aber auch auf die unterschiedlichsten Menschen, die irgendwie mit dem Leben des Protagonisten verbunden sind. Und diese Reise hat mir ein absolutes Lesevergnügen bereitet. Nicht nur, weil ich durch das verschneite Schweden gereist bin und auch laue Sommerabende erlebt habe, nein, Fredrik Welin ist in seiner rauen, einfachen und immer kurz angebunden Weise ein herzensguter und liebevoller Mensch. Wenn man ihn gemeinsam mit Harriet erlebt, dann ist es, als begleite man ein altes Ehepaar und das Miteinander der beiden ist einfach herrlich.

Interessant war es für mich auch deshalb, da ich erst vor kurzem den biografischen Roman „Treibsand“ von Henning Mankell gelesen habe und nun bemerkte, dass er doch einiges von sich selbst hat einfließen lassen in seine Handlung. Ja, er hat sogar eine eigene Aussage wörtlich einer Figur in den Mund gelegt.

Und auch wenn der Roman sehr ruhig erzählt ist, so vergeht er doch wie im Fluge, denn es gibt eine Menge Ereignisse, die alles andere als langweilig sind.

Ich war traurig, als die Geschichte zu Ende war und ich die Schären verlassen musste, habe ich die Menschen doch alle sehr ins Herz geschlossen. Nun, ich habe Glück. Denn posthum ist nun eine Fortsetzung erschienen: „Die schwedischen Gummistiefel“. Die Geschichte wird weitererzählt. Das freut mich sehr und ich bin sehr gespannt wie es weitergeht. Denn geendet hat der Roman mit einem sehr offenen Ende ….


Fazit: Es lohnt sich immer wieder, Bücher aus dem Regal zu nehmen, die nicht auf der (aktuellen) Bestsellerliste stehen oder einen „Spiegel“ Aufkleber haben. Der oben beschriebene Roman ist schon älter, der Autor inzwischen verstorben und eigentlich eher durch seine Wallander-Reihe bekannt geworden. Aber diesen stillen und stimmungsvollen und keinesfalls langweiligen Roman empfehle ich nur gerne.

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© Buchwelten 2017

Sommer 1985 von Michael Schröder

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Erhältlich als Taschenbuch bei
Michael Schröder/Create Space
Preis: 12,90 € Taschenbuch
& 3,99 € als Kindle Edition
ISBN-Nr.: 978-1521887653
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Vier Jungs, beste Freunde, 12 Jahre alt und an der Schwelle zwischen Kindheit und Teenager, verbringen jede freie Minute miteinander. Jeder kennt die vier Jungs im Ort. Ob gleichaltrige oder ältere Leute, immer hängen die vier zusammen, das weiß jeder.

Damals, zu Zeiten ohne Internet und Computerspiele, spielte sich das Leben draußen ab. Abenteuer, Freiheit, Spielen und Unsinn machen. Eine eigene Hütte hatten die Jungs in der „Erdekraut“ sich gebaut. Nicht komfortabel und nicht stabil. Aber das war total egal. Sie trafen sich dort und fühlten sich wohl. Genossen jeden Tag ihres Lebens in vollen Zügen … bis zum Sommer 1985, genauer gesagt: dem 14.08.1985. Urplötzlich änderte sich alles, die schönen Zeiten waren vorbei. Es ereignete sich etwas, dass die Leben der vier Jungs für immer verändern sollte. Ein Alptraum, der wahr wurde und sich nur so halbwegs überstehen ließ, indem sie zusammen hielten. Sie taten das, was sie immer schon am besten konnten. Sich aufeinander verlassen, denn sie waren Freunde.

Zwanzig Jahre später nimmt sich einer der Jungs von damals das Leben und schlagartig werden die verbliebenen Freunde in besagten Sommer zurück katapultiert, den Sommer 1985 ….

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Wie steht es am Ende des Buches in ‚über den Autor‘ geschrieben: „Die Geschichten begeistern seinen kleinen, feinen Lesekreis immer wieder ….“. Das stimmt und da gehöre ich von Anfang an dazu. Ich habe bislang alle Bücher von Michael Schröder gelesen und alle gefielen sie mir sehr gut. Das erste „Jeder Tag endet mit dem Tod“ las ich bereits vor 6 Jahren, also im Jahr 2011. Dieser Roman entstand jedoch, wie ich erfahren habe, noch davor und wurde jetzt erst auf persönlichen Wunsch einer guten Freundin des Autors publiziert.

Und ich kann nur sagen, dass „Sommer 1985“ für mich sein bestes Buch überhaupt ist. Ich bin absolut begeistert, wie Michael Schröder es geschafft hat, diese Gratwanderung zwischen dem Schrecken, Grauen, Ekelhaften, Brutalen und Widerwärtigen sowie den schönen und tiefen Gefühlen, den stillen Momenten, der Freundschaft und Angst zu meistern. Ich will natürlich nicht zuviel verraten, denn die Spannung um die Handlung soll erhalten bleiben aber der Autor erschafft hier eine Stimmung, die an Romane/Filme wie „Stand by me“ oder „ES“ erinnert (die Barrens lassen grüßen) oder auch an „Mr. Mercedes“ bzw. „Mind Control“. Ja, Michael Schröder ist selbst Fan besagten Schriftstellers, aber er macht ihn keinesfalls nach. Er erschafft nur eine ähnliche Stimmung, was ihm übrigens sehr gut gelingt.

Aber dennoch möchte ich zart besaitete Leser vorwarnen. Schröder beschreibt heftig, brutal und erschreckend real. Ich selbst war sehr erschrocken, aufgewühlt und angewidert in diesen Momenten, aber für mich gehörte es genau so wie er es beschrieben hat in diese Handlung.

Michael Schröder springt immer wieder zurück in die Vergangenheit und lässt uns so teilhaben an diesem Sommer 1985, auch vor dem schrecklichen Vorfall. Ich als Kind/Teenager genau der gleichen Zeit fühlte mich dort natürlich pudelwohl und habe irgendwie auch nochmal meine eigene Kindheit wieder erlebt. Michael Schröder scheint diese Zeit genauso zu lieben, denn immer wieder landet er in seinen Geschichten in dieser Zeit.
Dennoch, Schröder schreibt nie in einem festen Genre, sondern immer einfach das, wo er gerade Lust drauf hat. Darum sind seine Romane auch alle unterschiedlich und keine Schema-F-Schreibe. Sein Schreibstil ist gewohnt gut und schön ausformuliert und auch wenn die Jungs umgangssprachlich reden, wird die Sprache niemals flach und trivial.

Für mich bleibt wieder einmal die traurige Feststellung, wieviele gute Autoren, von den großen Verlagen unerkannt und unbemerkt, geniale Romane neben ihren Brotjobs schreiben und diese dann entweder in kleinen Verlagen oder – so wie hier – in Eigenregie publizieren. Traurig aber wahr. Zwischen den Massen an Büchern, die keinesfalls alle gut sind, dennoch im Handel ausliegen, haben solch tolle Werke leider kaum eine Chance.

Zu guter Letzt die Info, dass Michael Schröder bereits ein neues Projekt in Angriff genommen hat. Ich verrate nicht, worum es geht, aber möchte meinen Lesern nicht vorenthalten, dass er es mir bei einem persönlichen Treffen vor kurzer Zeit auf dem Viktualienmarkt in München erzählt hat :-). Nach vielen Jahren – auch langer Facebook-Freundschaft – haben Wolfgang und ich uns im Urlaub mit ihm getroffen und auch wenn es kurz war: Es war sehr lustig und Michael Schröder ist ein sehr netter Kerl! Wir werden das unbedingt wiederholen.

Mein Fazit: Ein spannender, hoch dramatisch und erschreckender Roman, der dennoch durch die wunderbare Stimmung auch immer wieder ruhige Momente liefert. Meine absolute Leseempfehlung!

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Links zu Rezensionen / Interview:

Jeder Tag endet mit dem Tod

131 Briefe

Schicksal

Buchwelten im Gespräch mit Michael Schröder

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© Marion Brunner _ Buchwelten 2017