Stümmelchen von Anna Ratsche

Erschienen als gebundene Ausgabe
im KOVD Verlag
insgesamt 116 Seiten
Preis: 24,99 €
ISBN: Privatdruck – ohne ISBN
Kategorie: Bizarro-Fiction

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Die Geschichte vom Waisenkind Stümmelchen, das es nicht leicht im Leben hat. Perverse und geistig behinderte Dorfbewohner, ein böser Walddämon und eine mysteriöse Vergangenheit machen das Leben für Stümmelchen nicht leicht. Und während sie sich, so gut es eben geht, durchs Leben schlägt, entwickeln sich die Ereignisse im Dorf zu einem immer blutigeren Albtraum.

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Eines vorweg: „Stümmelchen“ ist etwas Besonderes, auf das man sich einlassen muss. Ohne eine gewisse Bereitwilligkeit, ein abstruses, bizarres, obszönes, aber irgendwie auch schönes Märchen serviert zu bekommen, funktioniert es nicht. Anna Ratsches Schreibstil ist einfach und macht keine literarischen Kapriolen, beschert dafür aber innovative Ideen, bei denen man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Wie der Verlag bereits auf der ersten Seite warnt, wird der Leser während der Geschichte mit drastischen Gewaltbeschreibungen und sexuellen Abartigkeiten konfrontiert, die dem ein oder anderen auch schon mal den Lesegenuss erschweren könnten, weil sie seine persönliche Schmerzgrenze überschreiten. Aber man sollte „Stümmelchen“ in dieser Hinsicht nicht allzu ernst nehmen, denn gerade diese Szenen bieten einen hervorragenden Nährboden für skurrile Begebenheiten, bei denen man herzhaft lachen muss, obwohl einem Sekunden später das Lachen wiederum im Halse steckenbleibt. Aber genau diese Mischung und Gratwanderung aus expliziten Gewalt- und Sexdarstellungen und einem ganz besonderen Humor machen dieses Buch aus.

Die ersten beiden Drittel sind unglaublich einfallsreich und man sieht gerne über den ein oder anderen Fehler im Sprachausdruck hinweg, weil man sich einfach zu sehr in dieser abgefahrenen Geschichte verliert. Ratsche schafft etwas Außergewöhnliches, denn sie hält sich nicht lange mit Erklärungen auf, warum etwas geschieht oder so ist, sondern stellt den Leser knallhart vor vollendete Tatsachen: Nimm es so hin, damit die Geschichte funktioniert, oder, wenn du es nicht tust, dann klappt es leider nicht mit uns. Diese Vorgehensweise empfinde ich als ungemein erfrischend, weil sie den Leser fordert, sich auf etwas einzulassen und ihm sozusagen gar keine andere Wahl bleibt. Bizarro-Fiction eben. Man muss es mögen, wenn man aber einmal den ersten Schritt gewagt hat, wird man es mögen – zumindest bei „Stümmelchen“ von Anna Ratsche. Ihre Charaktere, wenngleich sie nicht einmal in aller Ausführlichkeit beschrieben sind, werde ich so schnell nicht wieder vergessen und diese Tatsache allein spricht schon für dieses Buch. „Stümmelchen“ ist ein Fest an bizarren Ideen und Ereignissen, die aber letztendlich in ihrer Gesamtheit dennoch wie ein Märchen, natürlich eines für Erwachsene, wirkt. Das macht Spaß. 🙂

Bei der vorliegenden Schmuckausgabe des KOVD-Verlages kommen aber neben der Story noch weitere Aspekte zum Tragen, die dieses Buch zu etwas Besonderem machen. Das Hardcover kann mit einer hochwertigen Fadenbindung, einem harten Umschlag und einem Lesebändchen auftrumpfen. Im Inneren findet man sehr dicke Seiten vor und eine Klarlackveredelung, die zu einem tollen Leseerlebnis führt. Immer wieder findet man Illustrationen, die die Geschichte bereichern und den Plot wie einen Film ablaufen lassen. Diese Ausgabe ist eine Augenweide für jeden Buchliebhaber und zeigt, dass das gedruckte Buch noch lange nicht ausgestorben ist, sondern einen verdienten Platz in den Herzen von Lesern hat, die ein gutes und schön gestaltetes Buch zu schätzen wissen.
Auch wenn ich anfangs mit gemischten Gefühlen an „Stümmelchen“ von Anna Ratsche herangegangen bin, so konnte mich das Gesamtergebnis letztendlich absolut überzeugen. Es war ein wunderbarer Ausflug in ein mir bis dato unbekanntes Genre und in eine Welt voller abartiger, genialer, abstruser, liebenswerter, besonderer und ausgefallener Ideen. Ich bin sicher, dass ich „Stümmelchen“ noch öfter in die Hand nehmen werde.

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Fazit: Ideenreiche Geschichte in einer liebevollen Schmuckausgabe. Ich bin begeistert.

©2021 Wolfgang Brunner für Buchwelten

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Die weissen Männer von Arthur Gordon Wolf

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Erschienen als gebundene Ausgabe
im KOVD Verlag
insgesamt 126 Seiten
Preis: 14,99 €
ISBN: keine – Privatdruck
Kategorie: Mystery, Science Fiction, Horror

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Brandon Tolliver eilt seiner  Nachbarin zu Hilfe und wird plötzlich von  unheimlichen Replikanten  verfolgt, ohne den Grund dafür zu kennen. Irgendjemand scheint ihn aus dem Weg räumen zu wollen und Brandon versucht, während seiner Flucht hinter das Geheimnis zu kommen.

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Ich wusste nicht, was mich erwartete, und war umso erstaunter, wie schnell und mit wie viel Freude ich diesen Kurzroman letztendlich dann verschlang. „Die weissen Männer“ war mein erstes Buch von Arthur Gordon Wolf und wird definitiv nicht das letzte bleiben, denn der angenehme Schreibstil konnte mich uneingeschränkt überzeugen. Es ist vor allem die besondere Atmosphäre, die sich durch die ganze Geschichte zieht und mich sofort in den Bann gezogen hat. Der Autor vermittelt diese Stimmung überzeugend und lässt den Leser unmittelbar an den Geschehnissen teilhaben.
An manchen Stellen erinnerte mich das Szenario an die Bücher von Franz Kafka oder die Filme von David Lynch – rätselhaft, mysteriös, einerseits durchschaubar, andererseits geheimnisvoll. Aber auch H.P. Lovecraft oder Philip K. Dick stellen für den Autor offensichtlich eine Inspirationsquelle dar. Der daraus entstehende Genremix ist dennoch absolut eigenständig und faszinierend.

Obwohl es sich bei dem vorliegenden Roman um eine Geschichte aus dem vom Autor ersonnenen UMC-Universum handelt, kann man diesen Kurzroman ohne jegliche Vorkenntnisse lesen. Das UMC-Projekt ist auch als eher lockeres Konzept anzusehen, in dem der Autor Kurzgeschichten, Romane oder eben auch Novellen ansiedelt, die alle in einer dystopischen Zukunftswelt spielen. Arthur Gordon Wolf schafft es mit spielerischer Leichtigkeit, den Leser in diese Welt zu entführen und verstreut auch die ein oder andere Anspielung auf Kultfilme und/oder -bücher, so dass es eine wahre Freude für den aufmerksamen Leser ist, sich in dieser Kulisse zu verlieren. Es ist schon an einigen Stellen beklemmend, wie der Autor die Entwicklung der Menschheit beschreibt. Aber alles hat Hand und Fuß und könnte durchaus genau so sein.

Arthur Gordon Wolf verpackt in seine stimmungsvolle, actionreiche und oftmals auch humorvolle Geschichte auch immer wieder sozialkritische Aspekte, die das Ganze authentisch machen und zum Nachdenken anregen. „Die weissen Männer“ haben mich derart fasziniert, dass ich mir im Anschluss gleich einmal die beiden Romane „Mr. Munchkin“ und „Red Meadows“ besorgt habe, die ebenfalls im genannten UMC-Universum angesiedelt sind und indirekte Fortsetzungen der vorliegenden Geschichte darstellen.
Aber zurück zur Novelle „Die weissen Männer“, die mir in einer ansprechend gestalteten Neuauflage vom KOVD-Verlag vorliegt und mit einigen Illustrationen von Thomas Hoffmann aufwartet, die kongenial zur Geschichte passen und das, durch die bildhafte Schreibweise ohnehin schon filmreife Geschehen noch einmal visuell unterstreichen. Insgesamt gesehen stellt die Neuauflage aus dem KOVD-Verlag für mich ein bibliophiles Highlight dar, das ich immer wieder gerne in die Hand nehmen werde, um darin zu blättern.

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Fazit: Düstere, stimmungsvolle und spannende Dystopie, die hervorragend unterhält.

©2020 Wolfgang Brunner für Buchwelten