Der Pinguin – A Very Graphic Novel von Walter Moers

Erschienen als Taschenbuch
im Penguin Verlag
insgesamt 103 Seiten
Preis: 18,00 €
ISBN: 978-3-328-11002-6
Kategorie: Graphic Novel, Comic

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Ein verliebtes Eskimopärchen, ein Pinguin, Drogen, Alkohol und … Mord!

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Auf der Titelseite ist der Vermerk „Vorsicht! Explicit! Dieses Buch enthält Bilder und Inhalte zu den Themen SEX, GEWALT und DROGEN, die einen gefestigten Charakter und Humor voraussetzen!!!“
Der Hinweis ist nicht unangebracht, denn geht man mit Moers’ Humor nicht konform, so könnte das Graphic Novel tatsächlich eine leichte bis gar unerwartet hohe Form von Entrüstung auslösen. „Der Pinguin – A Very Graphic Novel“ ist eine Reise in die Abgründe des Menschen, äh, Verzeihung, des Pinguins. Da werden freizügig Drogen konsumiert, wird Sex praktiziert und vor allem … abgeschlachtet! Durch die von Moers gewohnten genialen Zeichnungen „liest“ sich dieses Graphic Novel wie ein Film, den man nur als Volljähriger zu sehen bekommt. Ich könnte mir da übrigens tatsächlich eine Verfilmung äußerst unterhaltsam und interessant vorstellen. 😉

Moers Buch ist sicherlich Unsinn, aber was für einer! Witzig ist vor allem auch, dass einem die Geschichte und die Bilder nicht mehr aus dem Kopf gehen. Als wäre es eine literarische Droge, von der man nicht die Finger lassen kann, greift man immer wieder zu dem Büchlein und blättert darin herum, amüsiert sich und grinst unentwegt vor sich hin.
Aber so sind die Comics und Bücher von Walter Moers nun mal: bissig, bösartig, nicht Mainstream und vor allem voller cooler Ideen.


Fazit: „Der Pinguin“ ist ein Buch, das sich definitiv lohnt, denn man „liest“ es nicht nur einmal.

©2023 Wolfgang Brunner für Buchwelten

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Freiheitsgeld von Andreas Eschbach

Erschienen als gebundene Ausgabe
bei Bastei Lübbe
insgesamt 526 Seiten
Preis: 25,00 €
ISBN: 978-3-7857-2812-3
Kategorie: Thriller, Belletristik

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Wir schreiben das Jahr 2064: In Europa wurde das sogenannte „Freiheitsgeld“ eingeführt, eine staatliche Unterstützung, die es der Bevölkerung ermöglicht, ein finanziell sorgenfreies Leben zu führen. Doch dann wird der Politiker, der dieses Freiheitsgeld eingeführt hat, tot aufgefunden. Der Polizist Ahmad Müller nimmt die Ermittlungen auf und kommt einer großen Intrige auf die Spur.

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Ein neues Buch von Andreas Eschbach bedeutet für mich immer, dass ich es erst einmal innerhalb meiner zu lesenden Bücher vorziehe, weil ich seinen Schreibstil und seine Ideen absolut mag. Vor allem sein „Perry Rhodan“ hat mich komplett aus der Bahn geworfen, so eindringlich und gut geschrieben war diese Geschichte. Doch auch sein Nachfolgewerk „NSA“ hat mir sehr gut gefallen. Umso gespannter war ich, als jetzt „Freiheitsgeld“ bei mir landete. Die Geschichte und überwiegen auch der Schreibstil stellten mich auch hier wieder mehr als zufrieden. Allerdings fiel mir bei diesem Roman an mehreren Stellen auf, dass sich Eschbachs Schreibstil ein wenig verändert und vor allem vereinfacht hat. Das hat der Geschichte zwar nicht die Spannung genommen, aber das Hochwertige, das ich bei all seinen anderen Romanen verspürte, fehlte hier an manchen Stellen. Es klang manchmal, als hätte jemand anderer das Werk geschrieben, oder zumindest Teile davon. Aber gut, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil meine Erwartungen diesbezüglich hoch waren und diese normalerweise immer erfüllt wurden.

Jetzt aber zur eigentlichen Handlung und deren Umsetzung: Die Ausgangssituation, und was in der Folge daraus gemacht wurde, hat mir, wie immer, sehr gut gefallen. Eschbach schafft es einfach immer wieder, solcherart Gedankenexperimente bis ins Detail auszuarbeiten und seine Leser damit zum Nachdenken anzuregen. Wie schon in „NSA“ vermischt Eschbach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, zeigt damit eine mögliche Entwicklung auf, die erst einmal gar nicht so unwahrscheinlich ist. Aktuelle Geschehen und fortführende Gedankenspielereien vermischen sich mit einem spannenden Kriminalfall, sodass man sich auf keiner einzigen Seite langweilt. Auch die Charaktere wurden gut ausgearbeitet und wirken in ihrem Handeln glaubhaft und echt. Bei diesem Roman wirkte es manchmal etwas schwerfällig, wenn immer wieder die Sichtweise der Protagonisten gewechselt hat, aber letztendlich wurden dann doch alle Stränge schön zusammengeführt und haben ein Ganzes ergeben. Bei der Auflösung könnte es dann aber doch einige geben, die damit nicht zufrieden sind, denn sie wirkt ein wenig konstruiert und befriedigt bezüglich des Themas dann nicht so, weil es letztendlich nicht das ist, was man sich vorgestellt hat. Aber das ist, wie immer bei Eschbach, Jammern auf hohem Niveau.

Insgesamt also hat mir „Freiheitsgeld“ wieder einmal außerordentlich gut gefallen. Der Roman zeigt, dass Andreas Eschbach nach wie vor zu den besten deutschen Thriller-Autoren gehört, der sich immer wieder Themen annimmt, die brandaktuell, gutrecherchiert und extrem spannend sind. Auch in Zukunft werde ich also angespannt darauf warten, was der Autor seinen Lesern als nächstes serviert. „Freiheitsgeld“ ist ein interessanter, unterhaltsamer Zukunftsroman, der auf realistische Weise eine gesellschaftliche Entwicklung aufzeigt, die ohne weiteres eines Tages zutreffen könnte. Nicht Eschbachs bester, aber ein sehr guter Roman.

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Fazit: Spannendes und gut ausgearbeitetes Zukunftsszenario.

©2022 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Stümmelchen von Anna Ratsche

Erschienen als gebundene Ausgabe
im KOVD Verlag
insgesamt 116 Seiten
Preis: 24,99 €
ISBN: Privatdruck – ohne ISBN
Kategorie: Bizarro-Fiction

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Die Geschichte vom Waisenkind Stümmelchen, das es nicht leicht im Leben hat. Perverse und geistig behinderte Dorfbewohner, ein böser Walddämon und eine mysteriöse Vergangenheit machen das Leben für Stümmelchen nicht leicht. Und während sie sich, so gut es eben geht, durchs Leben schlägt, entwickeln sich die Ereignisse im Dorf zu einem immer blutigeren Albtraum.

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Eines vorweg: „Stümmelchen“ ist etwas Besonderes, auf das man sich einlassen muss. Ohne eine gewisse Bereitwilligkeit, ein abstruses, bizarres, obszönes, aber irgendwie auch schönes Märchen serviert zu bekommen, funktioniert es nicht. Anna Ratsches Schreibstil ist einfach und macht keine literarischen Kapriolen, beschert dafür aber innovative Ideen, bei denen man aus dem Staunen nicht mehr herauskommt. Wie der Verlag bereits auf der ersten Seite warnt, wird der Leser während der Geschichte mit drastischen Gewaltbeschreibungen und sexuellen Abartigkeiten konfrontiert, die dem ein oder anderen auch schon mal den Lesegenuss erschweren könnten, weil sie seine persönliche Schmerzgrenze überschreiten. Aber man sollte „Stümmelchen“ in dieser Hinsicht nicht allzu ernst nehmen, denn gerade diese Szenen bieten einen hervorragenden Nährboden für skurrile Begebenheiten, bei denen man herzhaft lachen muss, obwohl einem Sekunden später das Lachen wiederum im Halse steckenbleibt. Aber genau diese Mischung und Gratwanderung aus expliziten Gewalt- und Sexdarstellungen und einem ganz besonderen Humor machen dieses Buch aus.

Die ersten beiden Drittel sind unglaublich einfallsreich und man sieht gerne über den ein oder anderen Fehler im Sprachausdruck hinweg, weil man sich einfach zu sehr in dieser abgefahrenen Geschichte verliert. Ratsche schafft etwas Außergewöhnliches, denn sie hält sich nicht lange mit Erklärungen auf, warum etwas geschieht oder so ist, sondern stellt den Leser knallhart vor vollendete Tatsachen: Nimm es so hin, damit die Geschichte funktioniert, oder, wenn du es nicht tust, dann klappt es leider nicht mit uns. Diese Vorgehensweise empfinde ich als ungemein erfrischend, weil sie den Leser fordert, sich auf etwas einzulassen und ihm sozusagen gar keine andere Wahl bleibt. Bizarro-Fiction eben. Man muss es mögen, wenn man aber einmal den ersten Schritt gewagt hat, wird man es mögen – zumindest bei „Stümmelchen“ von Anna Ratsche. Ihre Charaktere, wenngleich sie nicht einmal in aller Ausführlichkeit beschrieben sind, werde ich so schnell nicht wieder vergessen und diese Tatsache allein spricht schon für dieses Buch. „Stümmelchen“ ist ein Fest an bizarren Ideen und Ereignissen, die aber letztendlich in ihrer Gesamtheit dennoch wie ein Märchen, natürlich eines für Erwachsene, wirkt. Das macht Spaß. 🙂

Bei der vorliegenden Schmuckausgabe des KOVD-Verlages kommen aber neben der Story noch weitere Aspekte zum Tragen, die dieses Buch zu etwas Besonderem machen. Das Hardcover kann mit einer hochwertigen Fadenbindung, einem harten Umschlag und einem Lesebändchen auftrumpfen. Im Inneren findet man sehr dicke Seiten vor und eine Klarlackveredelung, die zu einem tollen Leseerlebnis führt. Immer wieder findet man Illustrationen, die die Geschichte bereichern und den Plot wie einen Film ablaufen lassen. Diese Ausgabe ist eine Augenweide für jeden Buchliebhaber und zeigt, dass das gedruckte Buch noch lange nicht ausgestorben ist, sondern einen verdienten Platz in den Herzen von Lesern hat, die ein gutes und schön gestaltetes Buch zu schätzen wissen.
Auch wenn ich anfangs mit gemischten Gefühlen an „Stümmelchen“ von Anna Ratsche herangegangen bin, so konnte mich das Gesamtergebnis letztendlich absolut überzeugen. Es war ein wunderbarer Ausflug in ein mir bis dato unbekanntes Genre und in eine Welt voller abartiger, genialer, abstruser, liebenswerter, besonderer und ausgefallener Ideen. Ich bin sicher, dass ich „Stümmelchen“ noch öfter in die Hand nehmen werde.

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Fazit: Ideenreiche Geschichte in einer liebevollen Schmuckausgabe. Ich bin begeistert.

©2021 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Cheap Chops of Horror von Patrick Peters

Cheap

Erschienen als Taschenbuch
im Eigenverlag
238 Seiten
9,99 €
ISBN: 978-179198921-7
Kategorie: Anthologie, Horror, Hardcore

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Diese Kurzgeschichten sprengen die Realität. Elf Stories, die unterschiedlicher nicht sein könnten, entführen den Leser in eine andere Welt: Krieg, Pornosucht, Untreue, Mord, Rache, Geister aus der Vergangenheit, Splatter, Internetwahnsinn und ein Tor in die Hölle.

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Es macht immer wieder ungemein Spaß, wenn man einen neuen Autor entdeckt, der weiß, wie man mit Worten umgeht und der ein hervorragendes Gespür für Sprache hat. So geschehen bei Patrick Peters, der mich mit seiner Anthologie „Cheap Chops of Horror“ schon beim ersten Satz packen konnte, der da lautet: „Alberts Lächeln zerplatzte, als ihn das Schrapnell mitten ins Gesicht traf.“ Damit hat mich Peters gekriegt und ich konnte das Buch für die nächsten beiden Geschichten nicht mehr aus der Hand legen, so fasziniert war ich von seiner Ausdrucksweise. Noch faszinierender fand ich, dass der Autor unter anderem Themen behandelt, die unter die Rubrik „Extrem Horror“ fallen, bei ihm aber dennoch ein hohes Niveau vorweisen, was bei vielen Büchern dieser Art leider nicht der Fall ist. Patrick Peters weiß sich also auszudrücken und das ist auch schon der erste Punkt, der an dieser Anthologie absolut hervorzuheben ist.

Doch es ist nicht nur der wunderbare, flüssige Schreibstil, der diese Horrorgeschichten gegenüber den meisten anderen auf dem Markt hervorhebt, es sind auch noch die uneingeschränkt genialen Ideen und Plots, die in jeder Hinsicht überzeugen. Peters schreibt sehr hochwertig, aber auch sehr bildhaft, so dass man jede seiner Szenen als Film vor sich sieht, was dem Schriftsteller einen zusätzlichen Punkt verschafft. Jede seiner Stories hat einen gewissen Reiz, dem man unverzüglich verfällt und der einen dann auch bis zum Ende nicht mehr loslässt. Wie man aus meinen Worten herauslesen kann, bin ich ein klein wenig begeistert. 😉 Patrick Peters hat auf jeden Fall in mir einen neuen Fan gefunden, der schon jetzt ziemlich neugierig ist, was da Neues auf ihn zukommt. Aufgrund des hervorragenden Schreibstils würde ich mir auf alle Fälle einen Roman von ihm wünschen, denn ich könnte mir da eine sehr atmosphärische Geschichte vorstellen.

Zurück zur vorliegenden Anthologie: Es sind einige Geschichten, die mir besonders gefallen haben. Darunter befindet sich auf alle Fälle „Whatsdeath“, die ich fast als meine Lieblingsstory bezeichnen möchte. Dieser hochaktuelle Umgang mit der Problematik  sozialer Medien hat mich geflasht, weil sehr viel Wahres (und Erschreckendes) in dieser Geschichte steckt. Aber auch „Third Roommate“ oder „Kill The Bloody Ghosts“ haben es storytechnisch in sich. Peters’ Geschichten ergeben Sinn, regen zum Nachdenken an und in ihnen verstecken sich oftmals sozialkritische Aspekte zwischen den Zeilen. Das gefällt mir und es macht unglaublich Spaß, diese Ergebnisse zu lesen. Interessant ist auch, dass sich der Autor auf verschiedenen Ebenen bewegen kann: vom klassischen Horror über Science-Fiction angehauchte Krimis bis hin zu fast schon pornografischen Odysseen kann er über so ziemlich alles erzählen und behält dabei immer ein gewisses, sprachliches Niveau, das mich überzeugt. Peters begibt sich zwar des Öfteren unter die Gürtellinie, verlässt aber niemals die sprachliche Qualität dabei.

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Fazit: Uneingeschränkte Leseempfehlung für Freunde harter Kost, die sich aber immerzu auf sprachlich hohem Niveau bewegt und zum Nachdenken anregt.

© 2020 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Ich von Elton John

ICH

Erschienen als gebundene Ausgabe
im Heyne Verlag
insgesamt 496 Seiten
Preis: 26,00 €
ISBN: 978-3-453-20292-4
Kategorie: Autobiografie

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Eine lebende Legende erzählt aus seinem bewegenden, nicht immer nur schillernden Leben.

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Ich war natürlich gespannt, was diese Autobiografie zu sagen hatte, vor allem, nachdem ich den wunderbaren Film „Rocketman“ gesehen und dadurch ein vollkommen neues Bild des exzentrischen Sängers erhalten habe. ich war von dem Film regelrecht begeistert und beeindruckt, aber was Elton John mit seiner Autobiografie abgeliefert hat, übertraf all meine Erwartungen um ein Vielfaches (und ich habe nach dem Film hohe Erwartungen gehabt). Es ist wirklich äußerst beeindruckend, wie offen Elton John aus seinem Leben erzählt. Von seinen Ängsten und Hoffnungen. Von seiner Suche nach Liebe und Glück, aber auch seinem ausschweifenden Leben inmitten von Alkohol und Drogen. Ich kann gar nicht oft genug wiederholen, wie sehr mich diese Offenheit beeindruckt, mit der der Musiker sein Leben erzählt. Da wird kein Blatt vor den Mund genommen, wenn es um seine Drogenexzesse und seine Homosexualität geht. Interessanterweise ist dieses Leben auf eine gewisse Art und Weise „normal“, auf der anderen Seite so unglaublich, emotional und nahezu episch, wenn man nach den letzten Seiten das Buch zuschlägt.

Elton John wird einem durch diese Biografie sehr sympathisch und man möchte ihn am liebsten persönlich kennenlernen und erst einmal in den Arm nehmen. Ich kann nur meinen virtuellen Hut ziehen vor diesem Rückblick auf ein Leben, in dem es um Mut, Rückhalt und vor allem auch Selbstbewusstsein geht. Auch wenn Elton John immer wieder betont, er hätte in gewissen Dingen kein Selbstbewusstsein, so zeigt „Ich“, dass er sehr wohl immer wieder die Kraft fand, sein Leben so zu gestalten, wie er es möchte. An vielen Stellen äußerst humorvoll, werden Anekdoten erzählt, bei denen man gerne dabei gewesen wäre. Aber auch dramatische Selbstmordversuche werden nicht unter den Teppich gekehrt und im Nachhinein auch mit einer gewissen Selbstironie beschrieben. Seine sexuelle Entwicklung, die auch die Suche nach weiblicher Liebe beinhaltet, wird sehr glaubwürdig mit all den Sehnsüchten und Zweifel beschrieben, so dass man in Elton John einen sehr sympathischen und auch empathischen Menschen sieht. Plötzlich erkennt man in seiner Musik ganz andere Perspektiven als beim oberflächlichen Zuhören. Elton John besteht nämlich nicht nur aus seinen weltweiten Hits, sondern kann weitaus mehr vorweisen als nur Balladen.

Es liest sich fast wie ein „Who is who“, wenn man die Musiker und Künstler in diesem Buch entdeckt, mit denen Elton John zu tun hatte. Mit dem einen mehr, mit dem anderen weniger. Oft entstanden aber wunderbare Freundschaften, die über Jahre hinweg andauerten und besonders die Beziehung zu Rod Stewart sorgt in dieser Biografie für so manch ein Grinsen während des Lesens. Elton John steht immer zu seinem Leben, egal was er gemacht hat, egal ob positiv oder negativ. An manchen Stellen verlor ich mich während des Lesens richtiggehend in seiner Geschichte und hatte den Eindruck, er säße mir gegenüber und erzählt mir mit einem Glas Bier in der Hand seine Lebensgeschichte. „Ich“ ist eine der wenigen Autobiografien, die ich sofort wieder lesen könnte, so perfekt hat sich mich unterhalten und emotional auch getroffen. Es ist eine ehrliche und ungefälschte Lebensgeschichte, an der Elton John uns teilnehmen lässt. Und am Ende, wenn er im Epilog noch einmal über die Zukunft seines Lebens nachdenkt, fühlt man sich direkt angesprochen. Ich bin wirklich schwer begeistert.
Es ist vor allem unglaublich faszinierend, in welcher Rekordzeit man die 500 Seiten „inhaliert“.

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Fazit: Lebensbejahend, schrill, hoffnungsvoll, sympathisch, emotional, ehrlich … eine Achterbahnfahrt, die gelesen werden muss.

© 2019 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Blutiger Januar von Alan Parks

Blutiger Januar von Alan Parks

Erschienen als Taschenbuch
im Heyne Verlag
insgesamt 393 Seiten
Preis: 16,00 €
ISBN: 978-3-453-27188-3
Kategorie: Krimi, Thriller

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Es ist Januar 1973, als am helllichten Tag eine junge Frau auf offener Straße erschossen wird. Der Killer, ein junger Mann, jagt sich unmittelbar nach der Tat selbst eine Kugel in den Kopf. Detective Harry McCoy, dem der Mord am Tag zuvor von einem Gefängnisinsassen angekündigt wurde, versucht eine Verbindung zwischen dem Täter, dem Opfer und dem Gefangenen herzustellen. Er stößt dabei auf die Dunlops, bei der es sich um eine der mächtigsten Familie von Glasgow handelt. Und plötzlich werden McCoy Steine von seinem eigenen Vorgesetzten in den Weg gelegt …

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„Blutiger Januar“ ist ein düsterer Thriller, der einen von der ersten Seite an packt. Alan Parker ist mit seinem Debüt ein wahnsinnig rasanter und vor allem stimmungsvoller Krimi gelungen, der einen nicht mehr loslässt. Bei „Blutiger Januar“ handelt es sich um den ersten Teil einer geplanten Reihe um den Ermittler Harry McCoy, der durch seine Charakterzeichnung sehr interessant und authentisch wirkt. McCoy ist nämlich nicht der typische Polizist, der auf legalen Wegen ermittelt, sondern mit ganz anderen Wassern gewaschen. Die „Unperfektheit“ des Protagonisten ist es aber gerade, die seine Figur äußerst sympathisch und lebensecht macht. Die Atmosphäre gestaltet sich während des gesamten Plots als äußerst düster und deprimierend. Die Beschreibungen sind nicht immer zimperlich, wenn McCoy Tatorte oder Bordelle besucht und unterstreichen die trostlose Stimmung nochmals.

Man sieht eigentlich während des kompletten Romans eine Art Film Noir vor seinem inneren Auge und spürt die Missstände jener Zeit, die aber hervorragend in die Handlung mit eingebaut wurden, ohne je belehrend zu wirken. Hinzu kommt noch das geschilderte Privatleben McCoys, das meiner Meinung nach eigentlich noch viel mehr Tiefe hätte bekommen können und die Gesamtstimmung des Buches noch unterstreicht. Alan Parks schreibt sehr bildhaft. Besonders die Dialoge der Protagonisten haben es mir angetan, denn die sind sehr lebensecht und lesen sich so flüssig, dass man teilweise alles um sich herum vergisst und tatsächlich meint, ein Drehbuch für einen Film zu lesen. „Blutiger Januar“ liest sich definitiv nicht wie ein Debütroman, sondern eher wie ein routinierter Thriller von einem, der schon wesentlich mehr Erfahrung in Spannungsaufbau und Charakterzeichnung aufweist. Die Handlung stellt zwar nicht unbedingt eine Innovation um Thrillerbereich dar, aber es ist eindeutig der gelungene Schreibstil und die hervorragend vermittelte Atmosphäre der 70er Jahr, die dieses Buch zu etwas besonderem machen.

Was mir auch sehr gut gefallen  hat, war die Entwicklung des Protagonisten, dass er sich seinem Vorgesetzten widersetzte und auf eigene Verantwortung weitermachte. Sicherlich ist auch diese Idee keine neue, aber Alan Parks hat sie sehr gut und glaubwürdig umgesetzt. Für viele Leser könnte „Blutiger Januar“ aufgrund der Gewaltdarstellungen und sexueller Handlungen ein wenig unbequem sein, doch genau diese Zutaten machen ein „dreckiges Buch“ aus diesem Pageturner. Und diese Szenen passen schlichtweg in den gesamten Plot, so dass sie einen großen Teil der von mir angesprochenen düsteren Stimmung ausmachen. Parks behält dabei auch immer die Oberhand über seine Darstellungen und gleitet nie ins Niveaulose ab, selbst wenn die Beteiligten in Gossensprache reden. Das beherrscht definitiv nicht jeder Autor auf diese Art und Weise. Alan Parks hat mich mit seinem Debüt-Thriller absolut überzeugt und  mich sofort zum Fan gemacht. Ich freue mich schon sehr auf die Weiterführung von McCoys Ermittlungen. Ich kann mich immer nur wiederholen, dass mich die Atmosphäre und die Hauptfigur von „Blutiger Januar“ von Anfang bis Ende in ihren Bann gezogen haben.
Mord, Selbstmord, ausschweifende Sex- und Drogenpartys, Erpressung, Korruption, politische Verstrickungen und Gewalt – all diese Dinge finden sich in „Blutiger Januar“ und erschaffen eine vollkommen neue Welt im Kopf des Lesers.

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Fazit: Beeindruckendes Thrillerdebüt, das mit einer durchgehend düsteren Stimmung punktet.

© 2018 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Psycho-Pat von Mari März

Psychop

Erschienen als Taschenbuch
im Verlag DIE TEXTWERKSTATT „korrekt getippt“
insgesamt  299 Seiten
Preis: 12,95 €
ISBN: 978-3-959-57067-1
Kategorie: Thriller, Drama, Erotik

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Patrizia Fischer war ein erfolgreiches Model, das ein ereignisreiches, ausuferndes Leben geführt hat. Alkohol, Drogen und jede Menge hemmungslosen Sex. Doch eines Tages fasst sie den Entschluss, sich eine Auszeit zu nehmen. Patrizia, auch Pat genannt, sucht sich ein Ferienhaus in Dänemark, um sich zu erholen und zu sich selbst zu finden. Als dann eine Familie ins Nachbarhaus einzieht und Pat sich plötzlich in den Fängen des attraktiven Patrick findet, beginnt sich ihre Welt zu verändern. Und plötzlich erinnert sich Pat an einen Abschnitt aus ihrer Vergangenheit, den sie die letzten Jahre durch ihre Medikamente immer erfolgreich verdrängt hatte.

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Mari März, von der ich bislang nur hervorragende Kurzgeschichten kannte, liefert mit „Psycho-Pat“ einen Roman ab, der während des Lesens unglaublich gut unterhält und nach dem Lesen noch lange nachwirkt. Man weiß nicht genau, auf was man sich da einlässt, wenn man den Klappentext kennt und zu lesen beginnt. Immer mehr gerät man in einen Strudel, den die Protagonistin selbst durchlebt, und kann sich schon bald nicht mehr von der Geschichte lösen, so intensiv wird sie beschrieben. Vor allem die Dialoge und die Gedankengänge von Patrizia Fischer haben es mir angetan, denn sie wirken so wahnsinnig authentisch und echt, dass man stellenweise meint, ihre Stimme förmlich zu hören, wenn sie ihre Geschichte erzählt.

„Psycho-Pat“ ist ein Drama, das fasziniert, obwohl im Grunde genommen eigentlich gar nicht viel passiert. Und das ist genau der Grund, warum die Geschichte so hervorragend funktioniert, denn man ertappt sich immer wieder dabei, dass man vergleichbare Situationen schon selbst erlebt hat und ähnliche Gedanken gedacht hat. Hinzu kommt der sehr flüssige Schreibstil, der den Roman zu einem wahren Pageturner macht. Und auch die Gefühlswelt, die von Mari März beschrieben wird, ist in jeder Hinsicht glaubwürdig und mitreißend. Man spürt beim Lesen die Unsicherheiten und Ängste der Protagonistin, aber auch den Mut und die Kraft, um ihr Leben zu ändern (und zu meistern). Diese Seelenqualen und Hoffnungsschimmer sind unglaublich gut gelungen und zeugen von einer sehr guten Recherche. Die Wendung, die die Geschichte irgendwann einmal nimmt, hat mich tief betroffen und auch wütend gemacht. „Psycho-Pat“ zeigt, dass Dinge, die einem als junger Mensch widerfahren, bis ins Erwachsenenalter Auswirkungen zeigen und Menschen psychisch kaputt machen (können). Mari März ist mit ihrem Buch eine perfekte Gratwanderung gelungen, die einerseits unterhält und andererseits auf Missstände in unserer Gesellschaft hinweisen und aufzeigen, warum manche Menschen schlichtweg einen“Knacks“ haben, obwohl sie nach außen hin „normal“ wirken. Mit Patrizia Fischer hat Mari März einen sehr sympathischen Charakter erschaffen, für den man großes Mitleid empfindet.

Nun komme ich noch zu einer Sache, die ich eigentlich in der Belletristik gar nicht mag, nämlich die explizite Beschreibung von Sexszenen, die manches Mal sogar pornografisch wirken. Es gab bis dato nur einen einzigen Schriftsteller, der mich in dieser Hinsicht überzeugen konnte: Samuel R. Delany. Er hat es geschafft, Sexszenen literarisch und nicht plump wirken zu lassen. Mari März nähert sich Delany auf gewisse Art und Weise, denn auch sie schafft es, bei mir Emotionen auszulösen, wenn ich ihre sexuellen Beschreibungen lese. Man kann die wirren Gedanken, die Pat während ihrer ausufernder Sexorgien heimsuchen, durchaus verstehen und nachvollziehen, zumal bei den „harten, detaillierten“ Beschreibungen auch die Emotionen nie zu kurz kommen. Das ist genau die richtige Mischung, damit solche Szenen nicht unbeholfen oder gar peinlich wirken. März beschreibt diese Situationen wie einen Drogenrausch (und in keinem geringeren befinden wir uns, wenn wir sexuell erregt sind 😉 ) und vergisst dabei nicht die „romantische“ Gefühlswelt, die einen dabei durchströmt. Und genau deswegen funktionieren diese Szenen in „Psycho-Pat“ und machen die Protagonistin zu einem greifbaren Menschen, der sich auch einmal „gehen lässt“.
Mari März hat einen beeindruckenden Roman über eine „kranke“, aber sehr starke Frau geschrieben, die ihr Leben verändern will. Ich bin begeistert …

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Fazit: Beeindruckende Charakterstudie einer „kranken“ Frau, die nachhaltig auf den Leser einwirkt.

© 2018 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Der Satyr von Brian Keene

satyr

Erschienen als Taschenbuch
im FESTA Verlag
410 Seiten
13,99 €
ISBN: 978-3-86552-627-4
Kategorie: Horror

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Adam Senft ist Schriftsteller. Er ist eigentlich glücklich mit seinem Leben, wäre da nicht die (sexuelle) Ehekrise mit seiner Frau. Als Adam eines Tages eine Joggerin dabei beobachtet, wie diese bei einer steinernen Statue Fellatio vollführt, gerät die Welt danach immer mehr außer Kontrolle. Die Statue, ein Satyr, ist zum Leben erwacht und sucht die Wälder heim und verführt die Frauen mit einem mysteriösen Flötenspiel.

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Briane Keenes „neuester“, im Festa Verlag erschienener , Roman stammt eigentlich aus dem Jahr 2006 unter dem Titel „The Dark Hollow) („Die dunkle Höhle“). Sechs Jahre später wurde er dann überarbeitet und unter dem Titel „The Rutting Season“ („Brunftzeit“) neu veröfentlicht. „Brunftzeit“ passt wie „Der Satyr“ weitaus besser als Bezeichnung als der Originaltitel. „Der Satyr“ ist eine wunderbare Geschichte über einen Mann und seine (sexuellen Ehe-)Probleme. Ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich gerade das erste Drittel dieses Werks von Brian Keene genossen habe, weil es sehr menschlich und authentisch verfasst wurde. Da ich selbst ein Mann bin, kann es natürlich gut sein, dass ich die Gedankengänge des Protagonisten besser nachvollziehen kann als eine weibliche Leserin. Ich war schlichtweg davon begeistert und konnte von den Überlegungen (und Problemen) des Adam Senft gar nicht genug bekommen. In jeder freien Minute musste ich das Buch zur Hand nehmen, um weiterzulesen.

Kennen Sie das Gefühl, wenn man in einen Roman so abtaucht, dass man, wenn man weiter liest, wieder sozusagen „heim kommt“? Genau in diese Kategorie fällt „Der Satyr“. Es war jedes Mal wie eine Rückkehr in die Welt des Schriftstellers, der fast permanent von sexuellen Gedanken verfolgt wird und sich auf seinen Hund verlässt, der ihm Halt bei seiner Ehekrise gibt. Keenes Schreibstil ist so flüssig, dass man gar nicht mehr mit dem Lesen aufhören will. Auch wenn die Charaktere teilweise etwas flach ausgefallen sind, so konnte ich mich hervorragend mit Adam Senft identifizieren und auch die anderen Protagonisten wuchsen mir ans Herz, obwohl sie nicht wirklich Tiefe besaßen. Erfrischend war auch, dass Keene die sexuelle Komponente niemals übertrieben und pornografisch werden ließ, sondern immer ein gewisses Maß an Niveau beibehielt. Das hat mir außerordentlich gut gefallen. Mit „Der Satyr“ hat mich Brian Keene erneut überzeugt und ich kann die Worte von „Horror Review“, dass Keenes Name in einem Atemzug mit denen von King, Koontz und Barker genannt werden sollte, nur bestätigen. Brian Keene besitzt ein sicheres Händchen für bildhaft beschriebene Geschichten, die spannend, unterhaltsam und vor allem atmosphärisch sind.

Man merkt schon, dass ich schwer begeistert bin von dieser erotischen Horrorstory. 😉
Aber einen kleinen Wermutstropfen gibt es dennoch: Brian Keene verfällt im letzten Drittel des Romans immer mehr in eine Richtung, die mir zu reißerisch vorkommt. Vieles wirkt übertrieben. Als hätte Keene mit aller Gewalt versucht, ein dramatisches Finale mit möglichst viel Action hinzubekommen. (Den gleichen Fehler hat Stephen King meiner Meinung übrigens auch öfter gemacht.) Das letzte Drittel stört ein wenig gegenüber den bedeutend ruhigeren und stimmungsvolleren ersten zwei Drittel. Es ist zwar nicht so, dass das nun den gesamten Roman zunichte gemacht hätte, denn es ist immer noch sehr gut geschrieben, aber ich hätte mir da einfach weniger gewünscht. Das hätte, zumindest bei mir, bedeutend mehr Wirkung gehabt. Nichtsdestotrotz ist Keenes „Der Satyr“ ein Roman, der hervorragend unterhält und genial geschrieben ist. Er fällt unter die Kategorie jener Werke, die ich -sofern die Zeit es zulässt- sofort noch einmal lesen würde. Vergessen werde ich die Schauermär vom Satyr auf jeden Fall nicht so schnell. Und auch der Protagonist hat einen Weg in mein Langzeitgedächtnis gefunden. 🙂

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Fazit: Sehr stimmungsvolle, erotische Horrorgeschichte, die man nicht so schnell vergisst.

© 2018 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Der Kult von Marlon James

Der Kult von Marlon James

Erschienen als gebundene Ausgabe
im Heyne Verlag
insgesamt 286 Seiten
Preis: 22,00 €
ISBN: 978-3-453-67718-0
Kategorie: Horror, Drama, Thriller

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In einem kleinen Dorf namens Gibbeah taucht eines Tages ein schwarz gekleideter Unbekannter auf, der sich „Apostel York“ nennt und dem bis dato dort predigenden Hector Bligh den Posten streitig macht. Bligh ist ein versoffener alter Mann, der von York ohne Mühen  von der Kanzel gestoßen wird. Denn York ist charismatisch und schlägt die Dorfbewohner sofort in seinen Bann. Schon bald entbrennt ein erbitterter Kampf sowohl um die Seelen der Bewohner als auch um die religiöse Macht über das Dorf.

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Zu Anfang sei angemerkt, dass es sich bei „Der Kult“ nicht um ein neues Buch handelt, sondern um den Debütroman von Marlon James, der bereits 2009 unter dem Titel „Tod und Teufel in Gibbeah“ erschienen ist.
Man muss sich schon auf Marlon James‘ Schreibstil einlassen können, um das Buch zu genießen (und vielleicht auch verstehen) zu können. Und obwohl des Öfteren derbe Ausdrücke benutzt werden, wirkt der Roman dennoch auf hohem literarischem Niveau verfasst. James‘ benutzt eine sehr außergewöhnliche Bildsprache, die sich dem Leser oftmals erst im Nachhinein offenbart. Es sind atmosphärisch dichte, filmreife Bilder, die der Autor mit seiner unkonventionellen Ausdrucksweise im Kopf des Lesers heraufbeschwört. Jede Menge Zitate aus der Bibel werden geschickt in die Handlung mit eingeflochten und lassen dabei ein etwas zweifelhaftes Bild auf Religionen und deren fanatischen Anhänger entstehen. Marlon James packt den Leser von Anfang an und lässt ihn einfach nicht mehr los. Man gerät als Leser ähnlich wie die Protagonisten in einen Strudel aus Sex und Gewalt, dem man sich nicht mehr entziehen kann (und irgendwie auch nicht möchte), denn zu stimmungsvoll sind die Beschreibungen der Ereignisse.

Alkohol, sündhafte sexuelle Ausschweifungen und fanatische Schwarzmalerei führen zu einem Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Moderne und mittelalterlich erscheinender Vergangenheit. Mit spärlichen, aber hundertprozentig treffsicheren Worten lässt Marlon James eine Welt vor den Augen des Lesers entstehen, vor der man sich fürchtet, aber gleichermaßen auch vollkommen in  Bann gezogen wird. Gerade die fast schon vulgären, sexuellen Beschreibungen, die an Dantes „Göttliche Komödie“ oder apokalyptische Bilder von Hieronymus Bosch erinnern, sind es, die den besonderen Reiz dieses Romans ausmachen. „Der Kult“ wirkt in der Tat apokalyptisch und dystopisch, aussichtslos und deprimierend. Viele Szenen und Bilder wirken so lange nach, das sie sich dem Leser erst nach Genuss der Lektüre, erschließen. Beeindruckend schildert James, wie sich eine ganze Stadt von den Predigten eines einzigen Mannes beeinflussen lässt. Die Bewohner verhalten sich teilweise wie Marionetten oder Lemminge, die sich einzig auf die Stimme ihres „Apostels“ verlassen. Marlon James zeigt gekonnt auf, wie einfach es für einen einzigen Mann ist, Menschen derart zu beeinflussen, dass sie ihm letztendlich hörig sind.

Viele sündhafte Ausschweifungen und menschliche Abgründe werden in „Der Kult“ beschrieben: Sodomie, Pädophilie, Ehebruch oder Untreue.  An manchen Stellen werden Marlon James‘ Beschreibung fast schon pornographisch, aber sie könnten nicht passender sein, denn sie arbeiten auf einen unglaublich intensiven Kampf zwischen Gut und Böse hin. Und erneut kommen einem beim Lesen Vergleiche mit Dante und Bosch in den Sinn. „Der Kult“ ist ein beeindruckender Roman über beängstigenden religiösen Fanatismus, sexuelle Entgleisungen und den Auswirkungen einer Massenhysterie in exzessive Gewalt. Die Geschichte ist ein Gleichnis über die Zerstörung einer Gesellschaft durch die Machtergreifung eines verblendeten Aufhetzers, der die Grenzen zwischen Wahrheit und Lüge (Gott und Teufel) verwischen lässt. Oft gleitet Marlon James ins Surreale ab und begibt sich damit auf literarische Pfade, die sonst nur der Regisseur David Lynch auf filmischem Weg betritt. Die Auseinandersetzung der beiden Priester, die das Gute und Böse im Menschen verkörpern (?) ist episch, aber auch mystisch und brennt sich szenenweise unaufhaltsam ins Gehirn ein. Den Roman einem Genre zuzuordnen fällt sehr schwer, denn zu vieles wurde vom Autor darin verpackt, um einer geraden, einfachen Linie zu folgen.
„Der Kult“ ist Kult.

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Fazit: Kultverdächtig, episch und beeindruckend.

© 2018 Wolfgang Brunner für Buchwelten

Ein wilder Schwan von Michael Cunningham

Ein wilder Schwan von Michael Cunningham

Erschienen als gebundene Ausgabe
im Luchterhand Verlag
insgesamt 156 Seiten
Preis: 19,00 €
ISBN: 978-3-630-87491-3
Kategorie: Märchen, Belletristik, zeitgenössische Literatur

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Rumpelstilzchen, Hänsel und Gretel, Schneewittchen und Rapunzel – wer kennt diese Märchen nicht? Aber Michael Cunningham erzählt sie nun vollkommen anders, berichtet über die Hintergründe jener Geschichten und schreibt Prequels und Sequels. Und nicht immer ganz jugendfrei …

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Bei diesen Märchen-Neuinterpretationen scheiden sich wohl die Geister, wenn man sich verschiedene Rezensionen durchliest. Die einen sind hellauf begeistert, wozu ich mich zähle, und die anderen finden Cunninghams Geschichten langweilig und uninspiriert. Cunninghams Schreibstil ist gewohnt hoch und er kann mit seinen Gedanken, die oftmals zum Nachdenken anregen, schlichtweg verzaubern. Doch der Autor, dessen Meisterwerke wie „The Hours – Die Stunden“ oder „Ein Zuhause am Ende der Welt“ noch nach Jahren im Gedächtnis des Lesers haften bleiben, nimmt den Märchen an manchen Stellen die Mystik, in dem er etwas derb den Plot in unsere Wirklichkeit verlegt. Das funktioniert aus meiner Sicht unglaublich gut, kommt aber anscheinend bei anderen Lesern nicht so gut an. Michael Cunningham „spielt“ mit den bekannten Märchen, erzählt eine Vor- und/oder Nachgeschichte und passt die Charaktere der Realität an, verbannt sie sozusagen aus der Märchenwelt, wie wir sie kennen. Das ist zum einen erfrischend, zum anderen aber auch sehr geschickt verändert, so dass man in manchen Geschichten unsere Wirklichkeit wiedererkennt.

Michael Cunningham kann Geschichten erzählen, das hat er mit vielen Romanen mehrfach bewiesen. In „Ein wilder Schwan“ traut er sich einfach mal etwas anderes, geht über seine Grenzen hinaus und wird hin und wieder sogar lynchesk „abgedreht“. Das ist mit Sicherheit nicht jedermanns Sache, aber wenn man sich auf die Ideen einlassen kann, wird man mit einem ironischen, augenzwinkernden Blick in unsere echte Welt belohnt, der zeigt, wie aktuell „alte“, klassische Märchen sein können. Cunningham geht oft auf die menschliche, emotionale Seite der Protagonisten ein, die in den Originalen oftmals fehlen. Er zeigt, dass sich hinter den Märchenwesen echte Menschen und Charaktere verstecken könnten, so dass man den verklärten Blick auf eine Märchenwelt manchmal vergisst und darüber nachdenkt, ob die Inspirationen, aus denen diese Geschichten einst wurden, vielleicht sogar ihren Anfang in einer wahren Begebenheit fanden. Cunningham nimmt den Märchen ihren Zauber, das ist keine Frage, aber er verleiht ihnen eine neue Art von Zauber, der so manches Mal sogar beeindruckender ist als der der Originale. Aber man muss sich, wie gesagt, darauf einlassen können und die Sprache des Autors verstehen.

Abgesehen von der wirklich tollen Aufmachung des kleinen Bandes werden die sprachlich raffinierten Geschichten von wunderbaren Illustrationen der japanischen Künstlerin Yuko Shimizu unterstrichen, die sich perfekt an die Erzählungen anpassen. Ein wenig erinnern ihre schwarzweißen Zeichnungen an den hierzulande relativ unbekannten Künstler Aubrey Beardsley. Ich habe diese Illustrationen jedes Mal ein paar Minuten auf mich einwirken lassen, weil sie mich zum einen stark beeindruckt und zum anderen den „Geist“ von Cunninghams Märcheninterpretation hervorragend ergänzt haben. Diese Symbiose aus Text und (Bilder)Kunst gibt dem Buch eine ganz besondere Note, die man nicht so schnell vergisst.
Die aus einer anderen Sichtweise erzählten Märchen haben mich mal mehr und mal weniger begeistert, im Gesamten aber vollkommen in den Bann gezogen. Und wer behauptet, dass sich zwischen den Zeilen keine Gefühle und Sehnsüchte verbergen, der hat Cunninghams Arbeit (und Anliegen) wohl nicht verstanden. „Ein wilder Schwan“ ist nämlich keine leichte Kost zum Zwischendurchlesen (oder gar oberflächlichem „Konsumieren“), sondern fordert ein wenig Feingefühl (trotz der manchmal derben Ausdrücke) und literarische Empathie. Für mich zeigt dieser Band erneut das Können dieses Schriftstellers, wenngleich auf eine völlig andere Art als seine bisherigen Bücher.

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Fazit: Abgedrehte, aber auch voller Gefühle und Innovationen steckende Märchen-Neuinterpretation mit wunderschönen Illustrationen.

© 2018 Wolfgang Brunner für Buchwelten