Der letzte Mensch von Mary Shelley

Erschienen als Taschenbuch
im Reclam
insgesamt  585 Seiten
Preis: 26,00 €
ISBN: 978-3-15-011328-8
Kategorie: Dystopie, Science Fiction

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Dies ist die Geschichte von Lionel Verney. Im Jahre 2094, gerade als der junge Verney die schönen Seiten des Lebens kennenlernt, bricht die Pest aus. Verney flüchtet im Laufe der Pandemie aus seiner Heimat und muss der schrecklichen Seite dieser Seuche gegenübertreten, in dem er zusammen mit Freunden und Familienmitgliedern ums Überleben kämpft. Politische und wirtschaftliche Auswirkungen bleiben nicht aus und die Zustände auf der Welt werden immer apokalyptischer …

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Schon nach den ersten Sätzen und Seiten konnte mich Mary Shelley mit ihrer wunderbar poetischen Sprache verzaubern und in ihren Bann ziehen. Alleine den Epilog könnte ich immer und immer wieder lesen, so sprachlich perfekt, bildhaft und einfach nur wunderschön sind diese Worte. Bei solcherart Bücher denke ich dann, wie verkommen unsere heutige Sprache leider ist, wie teilweise emotionslos und kalt. Sicherlich wird der Leser hier mit einer „alten“ Sprache konfrontiert, die er nicht mehr gewohnt ist und die sich auch schwer liest, wenn man nicht bei der Sache bleibt und die Geschichte nur nebenbei konsumiert. Man muss sich darauf einlassen und förmlich in den alten Beschreibungen und Formulierungen schwelgen, um diese sprachliche Wucht begreifen zu können. Ich stellte oftmals während des Lesens Vergleiche mit Shakespeare, aber auch Bram Stoker oder klassischen Autoren wie H.G. Wells, Alexandre Dumas und Jules Verne an. Sie ähneln sich in ihrer Ausdruckskraft und Bildhaftigkeit sehr dem Schreibstil von Mary Shelley. Und auch wenn es an manchen Stellen für den ein oder anderen bestimmt langatmig wirkt, so kann man sich sehr schlecht von dem Roman lösen und versinkt förmlich in der geschilderten Welt. Die ausufernden Beschreibungen und philosophischen Ansätze mag nicht jeder, dessen bin ich mir bewusst, aber man sollte dennoch einen Blick riskieren und dieses literarische Abenteuer wagen, denn man wird mit ganz wunderbaren Gedankengängen und Wortspielereien belohnt.

Der vorliegende Roman erschien bereits in einer gekürzten Version in Deutschland, der Reclam Verlag hat es nun aber möglich gemacht, dass der interessierte Leser die ungekürzte Fassung zu lesen bekommt. Und die hat es wirklich in sich, wenn man genauer darüber nachdenkt. Denn „Der letzte Mensch“ ist nicht nur eine simple Dystopie, wie man sie zuhauf kennt, nein, es ist vielmehr die Lebensgeschichte eines Mannes, den man bis zum bitteren Ende begleitet.
Und gerade die Prämisse, dass sich Shelley unglaublich viel Zeit bei ihrer Geschichte lässt, hat zur Folge, dass das Gesamtwerk am Ende nahezu episch wirkt. Es ist eine unglaublich intensive Reise, auf die uns die Autorin mitnimmt, und die man sich richtig gut als Film vorstellen kann. Ich weiß gar nicht, wie oft ich mir während des Lesens die Frage gestellt habe, warum mir die ausgedehnten Schilderungen nicht zu viel und zu langatmig wurden und ich dennoch auf keiner einzigen Seite das Gefühl hatte, etwas Uninteressantes zu lesen. „Der letzte Mensch“ ist ein Phänomen für mich, das mich noch immer beeindruckt und mich anzieht wie Metall von einem Magneten. Immer wieder möchte ich in dem Buch blättern und mir die wunderschönen Formulierungen ein zweites Mal durchlesen.


Erst ab dem zweiten Drittel nimmt die Erzählung dann so richtig Fahrt auf und die Pest erscheint zum ersten Mal. Trotzdem ist Verneys Geschichte alles andere als langweilig. Auch die Pandemie wird nicht auf spektakuläre Weise geschildert, sondern eher ruhig und auch philosophisch mit ihren ganzen Auswirkungen auf die Menschheit. Parallelen zur aktuellen COVID-19-Pandemie sind natürlich ersichtlich, das liegt alleine schon an der Thematik, und treffen in bestimmten Aspekten sogar auf das heutige Verhalten der Menschen zu. Es ist an manchen Stellen tatsächlich erschreckend, wie sich der Ablauf einer weltweiten, tödlichen Krankheit gleicht.
Und in den letzten beiden Kapiteln trumpft Shelley dann noch einmal grandios auf, in dem sie eine Welt schildert, die der Apokalypse gleicht, wie wir sie teilweise in modernen Filmen wie „I am Legend“ kennen. Verneys Leben als einziger Mensch wird so detailliert und bildhaft beschrieben, dass man meint, hautnah mit dabei zu sein. Gerade diese Passagen würden das Science-Fiction-Publikum ansprechen, sofern dieses bis zum Schluss überhaupt durchhält. Für mich war Mary Shelleys „Der letzte Mensch“ eine grandiose faszinierende Reise durch eine apokalyptische Welt und ein Blick in die Seele eines Menschen. Dazu kommt eine wunderschöne, niveauvolle und bildhafte Sprache, wie man sie heute leider nur noch selten findet. Aus meiner Sicht ein ganz großer und wichtiger Roman innerhalb der Weltliteratur, der große Aufmerksamkeit verdient.

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Fazit: Mit bildhafter, wunderschön formulierter Sprache geschrieben. Sollte man gelesen haben.

©2021 Wolfgang Brunner für Buchwelten