Erschienen als Taschenbuch
im Penguin Verlag
insgesamt 444 Seiten
Preis: 10,00 €
ISBN: 978-3-328-10003-4
Kategorie: Abenteuer, Literatur, Mystery
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Als der Filmemacher Hugh Wittington bei einer Expedition in Tibet angeblich ums Leben kommt, macht sich sein Stiefbruder Charles, der nicht an Hughs Ableben glaubt, auf die Reise, um ihn zu finden. Er erreicht schließlich das Kloster, in dem sein Halbbruder zum letzten Mal lebend gesehen wurde und trifft anstatt auf den Gesuchten auf eine mysteriöse Frau, die ein unheimliches und tödliches Geheimnis umgibt.
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Der bereits im Jahr 1962 erschienene Abenteuerroman „Die Rose von Tibet“ ist ein fantastischer Genremix aus mitreissendem Abenteuerroman in Reiseberichtform und esoterischem Mysterythriller. Während sich der erste Teil wie eine Symbiose aus Bram Stoker und Dan Simmons liest, entwickelt sich die zweite Hälfte zu einem Esoteriktrip, der aber weiterhin in der abenteuerlichen Kulisse eines verschneiten, einsamen Tibetklosters spielt. Ich persönlich konnte mich an der ersten Hälfte gar nicht sattlesen, so hypnotisch war der Spannungsaufbau und die Schilderung der Reisevorbereitungen. Ich ging den beschwerlichen Weg zusammen mit dem Protagonisten, spürte die Kälte und die Gefahren der Reise und fühlte mich in einer fremden (tibetischen) Welt unglaublich wohl. Davidson verfasste seinen Roman so geschickt, dass man (ähnlich wie bei besagtem Dan Simmons) manchmal zweifelt, ob es sich nicht doch um einen Roman nach tatsächlichen Ereignissen handelt.
Davidson kann einen sehr schönen, niveauvollen Schreibstil sein eigen nennen, durch den man bei den Geschehnissen wirklich unmittelbar dabei ist. Doch wer einen historisch fundierten Roman erwartet, könnte unter Umständen ein wenig enttäuscht sein, denn das Hauptaugenmerk liegt auf einer mystischen, esoterisch angehauchten Geschichte und nicht auf der realen Kultur Tibets. Sicherlich werden auch historische Ereignisse behandelt, die aber teilweise etwas wirr wirken, wenn man sich damit noch nie befasst hat. Doch die tatsächlich stattgefundenen, politischen Wirrungen dieser Zeit tun der Hauptgeschichte an sich keinen Abbruch, wenn man sich nicht dafür interessiert oder die Zusammenhänge teilweise nicht versteht. Es ist die Atmosphäre und die „geistige“ Aussage, die den Reiz dieses Romans ausmacht, die stimmungsvollen Bilder, die Davidson im Kopf des Lesers entstehen lässt, und die mystische Anziehungskraft der fremden, tibetischen Welt, die sehr gut beschrieben wird.
Und gerade die Tatsache, dass die Geschichte als „wahr“ erzählt wird, gibt dem Buch noch einen zusätzlichen Pluspunkt, der die Seiten (zumindest in den ersten beiden Dritteln) nur so dahinfliegen lässt. Erst im letzten Drittel erscheinen manche Szenen etwas langatmig und, wenn man mit leicht „abgedrehten“ esoterischen Aspekten Probleme hat, etwas unglaubwürdig.
Lionel Davidson reiht sich aus meiner Sicht von seiner Erzählweise in die Riege bekannter Autoren wie Jules Verne oder H.G. Wells ein, um nur zwei zu nennen. Das liegt vor allem an dem „altmodischen“ Schreibstil, was allerdings absolut nicht negativ sondern im Gegenteil äußerst positiv zu bewerten ist. Schon während der ersten Seiten nimmt uns der Autor mit seinem fiktionalen Tatsachenbericht gefangen und lässt uns bis zum Ende nicht mehr los. „Die Rose von Tibet“ ist ein Abenteuerroman im klassischen Sinne, der sich zwar an einigen historischen Ereignissen orientiert, aber einen eigenen „erfundenen“ Weg geht, der einen entweder anspricht und sofort mitreißt oder eher langweilig und -atmig wirkt. Echte Tibetkenner werden sich die Haare raufen, der „Otto-Normal-Leser“, der sich einfach nur gut unterhalten möchte, wird die tolle Atmosphäre, die fast während des gesamten Buches vorherrscht, genießen und über die unrealistischen erscheinenden Dinge einfach hinwegsehen. Mir persönlich hat die erste Hälfte ausnehmend gut gefallen, wofür ich auch ohne weiteres fünf Sterne vergeben würde, und die zweite Hälfte wirkte auf mich dann an manchen Stellen eher etwas ermüdend, so dass der Story dann hierfür letztendlich nur drei Sterne aus meiner Sicht zustehen würden. Im Gesamtbild ist „Die Rose von Tibet“ für mich aber immer noch ein guter, lesenswerter 3,5 bis 4-Sterne-Titel.
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Fazit: Spannend, atmosphärisch und mystisch. Die erste Hälfte ist pures Abenteuer, die zweite bewegt sich dann eher auf esoterischen Pfaden.
© 2017 Wolfgang Brunner für Buchwelten